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Am Montag normalisierte sich das Leben in Hanoi allmählich wieder. Zusammen mit Patrick fuhr ich auf die Thailändische Botschaft um dort mein Visa zu beantragen. Da ich das Visa erst am nächsten Tag abholen konnte, entschloss ich mich meine Abreise auf Mittwoch zu verschieben. So blieb mir noch ein wenig Zeit mit der Nomadbikefamily.

Beim letzten gemeinsamen Nachtessen gab es zum Dessert Cremeschnitte. Einfach traumhaft. Nach einer letzten Suppe, verabschiedete ich mich von Patricks Verwandschaft. Sandra und Patrick begleiteten mich noch ein Stück weit und dann musste ich nach zwölf wunderschönen Tagen alleine weiterziehen.

Der Weg raus aus der Stadt war relativ schnell gefunden. Bereits nach drei Stunden Fahrt traf ich auf vier Engländer. Sie haben sich in Hanoi vier Motorräder gekauft und fahren nun für ein halbes Jahr durch Südostasien. Einer von ihnen hatte eine Panne und musste mit seiner Maschine in die Werkstat.

Der Fehler an der Maschine war bald gefunden. Der liebe Verkäufer in Hanoi hatte kein Öl eingefüllt! Ich verabschiedete mich von den Vieren und fuhr weiter. Schon wenige Kilometer später tauchte am Horizont der erste Velofahrer auf. Colin fährt für fünf Wochen ein wenig durch Vietnam und das bereits zum vierten Mal. Anfangs Februar fliegt er zurück nach England.

Wir fuhren gemeinsam nach Hoa Binh und quartierten uns in einem Nha Nghi (Hotel) für 200’000 Dong (10.- Franken) ein. Dort trafen wir auf Steve aus Kanada. Er ist von Hongkong aus mit seinem Velo gestartet und fährt für fünf Monate durch Südostasien. In Hanoi musste er wegen starken Magenproblemen vier Tage im Krankenhaus verbringen. Wir assen zusammen in einem Restaurant und unterhielten uns ziemlich lange. Am nächsten Morgen fuhr jeder für sich weiter.
Als ich jedoch nach zwei Stunden eine Essenspause einlegte, tauchte plötzlich Steve wieder auf. So fuhren wir gemeinsam weiter. Nebel und anhaltender Nieselregen sorgten für feuchte Stimmung. Zudem ging es ganz schön den Berg hoch. Nach so vielen Ruhetagen kein leichter Einstieg zurück in den Veloalltag. Zum Glück konnte ich ein wenig Balast bei Sandra und Patrick deponieren.

Wir nahmen die Steigung gelassen und machten unterwegs regelmässig Trink- und Essenspausen. Bei der Abfahrt lichtete sich der Nebel und gab die Sicht auf Mai Chao frei. Bereits am Dorfeingang bekamen wir die ersten Übernachtungsangebote. Wir liessen uns auf einen Versuch ein. Etwas ausserhalb des Dorfes führte uns der Besitzer eines Homestays in sein Haus. Ein richtig traditionelles Holzhaus, wie im Ethnologischen Museum in Hanoi. Wunderschön.

Im ganzen Dorf kann man den Frauen beim hertsellen der Teppiche zuschauen. Beim Rundgang im Dorf fühlt man sich fast ein wenig zurück versetzt in eine vergangene Zeit. Das Nachtessen war himmlisch und ich schlief wunderbar unter dem Moskitonetz.

Nachdem ich mich am nächsten Morgen von Steve verabschiedet hatte, fuhr ich auf dem Ho Chi Minh Highway weiter Richtung Süden. Nur geringer Verkehr, viele kleine Dörfchen und angenehme Temperaturen machten die Fahrt zu einem schönen Erlebniss. In einer Serpentine riss meine Kette. Bereits zum vierten Mal auf dieser Reise. Zum Glück hatte mir meine Mutter ein Klickglied nach Hongkong mitgebracht. So war der Schaden schnell behoben. Selbst die Strassenschilder machten sich über die Steigungen lustig. Wenn ich gewusst hätte, was mich in den nächsten Tagen noch so an Bergetappen erwartet, wäre mir das Lachen ziemlich schnell vergangen.

Zusammen mit Patrick hatte ich in Hanoi eine Variante durch die Berge auf weniger befahrenen Strassen ausgewählt. So bog ich nach 50 Kilometer vom Ho Chi Minh Highway ab und landete bis zum Abend in einer kleinen Stadt. Im einzigen Hotel wurde ich sehr herzhaft empfangen.

In einem Restaurant konnte ich sogar eine vegetarische Suppe bestellen. Beim Essen holte die Besitzerin ihre Tochter, welche ein wenig Englisch sprach. Zuerst wollten sie wissen woher ich komme, was ich hier mache und dann, ob ich verheiratet wäre. Als ich verneinte, bekam ich gleich von meheren Damen im Restaurant ein Angebot. Ich fragte dann zurück, ob eine von ihnen bereit wäre mit dem Velo zurück nach Europa zu radeln? Da war die Diskusion plötzlich beendet. Hihi.

Der nächste Tag begann zuerst mit asphaltierten Strassen. Doch schon bald kam nur noch eine Art Feldweg. Durch die starken Regenfälle der vergangenen Tage hatte sich die Strasse in eine richtige Schlammpiste verwandelt. Zuerst hatte ich so meine Bedenken. Sollte ich umkehren? Plötzlich überholten mich drei Schulmädchen auf ihren Singelspeed Velos und zeigten mir, wie man durch die Schlammlöcher fährt. Nach einer Weile hatte ich den Dreh raus. Ein wenig ist es wie wenn man mit dem Kajak durch eine Welle fährt. Immer schön in Bewegung bleiben!

Leider benötigte ich für die 25 Kilometer an diesem Morgen beinahe einen halben Tag und die Wetteraussichten versprachen auch keine Besserung. So bog ich wieder zurück auf den Ho Chi Minh Highway und stellte zum ersten Mal in Vietnam mein Zelt auf. Die Nacht verlief sehr ruhig und so machte ich auch die kommenden Tage immer ein bisschen Zeltbau. Es war zwar nicht immer einfach einen geeigneten Platz zu finden.

Als ich bei der letzten Nacht vor der Grenze gerade am Zelt aufbauen war, tauchten zwei Männer auf. Sie meinten, hier wäre kein sicherer Platz zum Zelten. Angeblich treiben sich hier viele Drogensüchtige rum. Ich solle bei ihnen im Dorf übernachten. Das kam mir ein wenig komisch vor. Bisher hatte ich noch nie Probleme mit Drogensüchtigen in Vietnam. Ich erklärte ihnen, dass ich viel zu müde wäre um nochmals mein Zelt abzubauen und hier schlafen würde. Sie fuhren bald davon und ich verbrachte eine ruhige Nacht ohne Störungen. Auf der Fahrt zur Grenze beeindruckte mich besonders die Lebensweise der Bergbewohner. Bambus ist das wichtigste Baumaterial. Unglaublich, was man alles damit machen kann.

Nach einer 23 Kilometer Steigung durch dicken Nebel kam ich gegen Mittag ziemlich erschöpft am Grenzübergang Nam Cam an. Die Grenzbeamten machten gerade Mittagspause und so ass ich vor dem Schalter auch eine Kleinigkeit. Der Grenzübertritt verlief auf der vietnamesische Seite zwar ein wenig chaotisch, da ich aber der einzige Tourist war wurde ich ziemlich bevorzugt behandelt. Die Laoten gaben mir ein Visa on arrival mit 15 Tagen Aufenthalt umsonst. Wunderbar.

In Laos war die Bergfahrt noch lange nicht zu Ende. Ganz im Gegenteil. Sie fing erst richtig an. Die Leute riefen hier nicht mehr „Hello, Hello“, sondern „Sabai- Dee“! Die Holzhäuser unterscheiden sich nur gering von denjenigen in Vietnam. Erschöpft fand ich in einem Feld den geeigneten Zeltplatz und fiel bald todmüde ins Bett.

Laos ist der einzige Binnenstaat in Südostasien und hat knapp sieben Millionen Einwohner auf einer Fläche von 236.800 km²; Hauptstadt und größte Stadt ist Vientiane.

Durch großflächige Entwaldungen in den letzten Jahrzehnten sank der Grundwasserspiegel in manchen Gebieten, was zu einer prekären Trinkwassersituation in Laos führte. Zudem sind durch die Vernichtung des Lebensraumes von Flora und Fauna eine Vielzahl der Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht. Im Jahr 1996 galten 68 Arten von Säugetieren, Vögeln, Reptilien und Fischen als gefährdet.

Mittlerweile sind jedoch etwa 14 % des Territoriums geschützt. Der Wald ist vor allem durch die Holzgewinnung, durch Rodung zur Ackerlandgewinnung und durch die Brennstoffgewinnung gefährdet, wobei etwa 8 % des Energiebedarfs des Landes mit Holz gedeckt werden. Der jährliche Waldverlust wird auf etwa 300.000 Hektar geschätzt.

Ein großes Umweltproblem von Laos sind Blindgänger, die aus dem Vietnamkrieg stammen. Sie machen das Land zu einem der Staaten mit den größten Mengen an nicht explodiertem Kriegsmaterial im Boden. Immer wieder kam ich an solchen Warnschildern vorbei und sah Räumungsteams bei der Arbeit. Deshalb wählte ich meine Zeltplätze sehr vorsichtig aus.

Von den mehr als 2 Millionen Tonnen an Bomben, die zwischen 1964 und 1973 von den amerikanischen Streitkräften in mehr als 530.000 Fliegerangriffen über Laos abgeworfen wurden, sind bis heute etwa 50 % des Territoriums betroffen. Für einen landwirtschaftlich geprägten Staat wie Laos stellt dies ein großes Problem dar, da regelmäßig Menschen durch Blindgänger verletzt oder getötet werden. Das UXO-LAO-Projekt, welches sich mit der Aufklärung der Bevölkerung und der Beseitigung von Blindgängern beschäftigt, ist einer der größten Arbeitgeber des Landes und wird von der UNDP sowie einigen Industriestaaten und Hilfsorganisationen finanziert, jedoch nicht durch die USA.

Das Land ist etwa zu 50 % bewaldet. Es gibt sowohl Regenwälder mit tropischen Pflanzen als auch Monsunwälder. Rund 8 % der Wälder werden als Urwald eingestuft.
Laos beheimatet Raubtierarten wie Leoparden und Tiger. Arbeitselefanten werden wie in den anderen Ländern Südostasiens als Lasttiere eingesetzt.

Laos ist, speziell in Anbetracht der niedrigen Bevölkerungszahl, ein Land mit außerordentlicher linguistischer Vielfalt, die aber aufgrund der Abgeschiedenheit noch nicht sehr weit erforscht ist. So ist die genaue Anzahl der unterscheidbaren Sprachen unbekannt und wird mit 70 bis 120 angegeben.

Die Amtssprache in Laos ist Laotisch, welche eine Tonsprache ist und große Ähnlichkeit zum Thai hat. Sie wird von etwa 2 Millionen Menschen in Laos als Muttersprache gesprochen, dazu kommen etwa 20 Millionen Personen in Nordthailand, die einen Thai-Dialekt sprechen, der sehr ähnlich dem Laotischen ist. Das Laotische ist zur Kommunikationssprache zwischen den laotischen und nichtlaotischen Volksgruppen des Landes geworden. Es gibt eine eigene laotische Schrift, deren Entwicklung auf einen Ursprung in der indischen Brahmi-Schrift zurückzuführen ist, wie dies bei den meisten nicht romanisierten Schriften Südostasiens der Fall ist.

Mit Opium sind die Bewohner des heutigen Laos seit dem 18. Jahrhundert vertraut, als der Opiumhandel mit China sowie die Opiumabhängigkeit in das Land kamen. Das Wissen über die Produktion von Opium kam im frühen 19. Jahrhundert mit den einwandernden Hmong nach Laos. Erst seit 1996 werden Produktion, Handel und Gebrauch von Opium tatsächlich bestraft. Trotzdem wurde für 2001 eine Zahl von 58.000 Drogenabhängigen geschätzt. In zunehmendem Maße werden neben Opium auch Heroin, Amphetamine und Klebstoffe konsumiert.

Laos verzeichnet eine niedrige Alphabetisierungsrate. So können nur zwei Drittel der Männer und ein Drittel der Frauen über 15 Jahren lesen und schreiben. Rund 40 % der Laoten haben noch nie eine Schule besucht, in den nördlichen Provinzen wie Luang Namtha oder Phongsaly sind es mehr als 60 %. Zwei Drittel der laotischen Kinder brechen vorzeitig die Grundschule ab, um zum Lebensunterhalt der Familie etwas beitragen zu können, insbesondere in der Feldarbeit.

Der nächste Tag sorgte für eine grosse Überraschung. Nach etwa drei Stunden Fahrt drehte plötzlich meine Kette durch. Als ich mir das Problem anschaute, fehlte am hinteren Umwerfer ein Umlenkrad. Die Schraube war gebrochen! Verzweifelt suchte ich die Strasse nach dem Rad ab. Konnte aber nichts finden.

Logischerweise hatten auch die kleinen Reparaturläden, die man überall am Strassenrand sieht, auch keine Ersatzteile. So kürzte ich meine Ersatzkette ein und bastelte eine Singelspeed Variante zusammen. In den Steigungen musste ich jeweils absteigen und Kurd, mein Velo, stossen. Besonders die Schulkinder hatten einen Riesen Spass an dem komischen Falang (Langnase, so werden die Ausländer genant).

Nach 15 Kilometer schweisstreibender Arbeit kam ich in Muang Kham an. Bei einer Werkstatt wollte ich um Hilfe fragen, als plötzlich ein Velofahrer auftauchte. Im Restaurant nebenan sass er mit zwei weiteren Velofahrern beim Essen. Ich hatte sie gar nicht bemerkt. Eric aus Frankreich hatte tatsächlich ein Ersatzrad dabei und schenkte mir dies. Meine Rettung! Ich war schwer erleichtert. Amaya und Eric sind 2006 in Frankreich gestartet und fahren seither um den Globus worldbiking.info/wordpress. Istok ist seit drei Jahren unterwegs und kommt ursprünglich aus Slowenien. Ich kam mir mit meinen 10 Monaten wie ein Greenhorn vor. Als Veloständer benutzen Amaya und Eric einen Bambusstab. Eine tolle Idee!

Nach kurzer Unterhaltung fuhren wir alle wieder getrennten Weges weiter. Thanks a lot for your help Amaya and Eric! Nach dieser Unterhaltung hatte ich keine Lust mehr an meine Rückreise in die Schweiz zu denken.
Die folgenden Tage ging es durch wunderschöne Berglandschaften und vorbei an vielen kleinen Dörfchen. Manchmal wurde ich von riesigen Kinderhorden umringt. Am Morgen war das Zelt meistens wegen des starken Nebels klatschnass. Gegen Mittag wurde es immer heisser und bis zum Sonnenuntergang um 18:00 Uhr konnte es ganz schön tropisch heiss werden. So habe ich langsam wieder meinen Wüstenrhytmus eingenommen und mache nach Mittag meistens eine längere Siesta im Schatten.

Bei der rasanten Talfahrt nach Kasi begegnete ich Jurgita und Tomas aus Litauen. Sie sind vor 18 Monate von Zuhause gestartet und fahren seither kreuz und quer durch Asien dviraciaisperazija.blogspot.com.

Nach kurzer Unterhaltung ging es weiter ins Talbecken. Die Nacht verbrachte ich kurz vor Vang Vieng. Am nächsten Tag war ich gerade am Strassenrand angehalten und trank mein Pepsi, als plötzlich Tom und Petra anhielten. Sie kommen aus Bern und haben sich zwei Monate Urlaub genommen um ein wenig durch Südostasien zu radeln rollolafs.blogspot.com. Es war richtig schön ein wenig Schweizerdeutsch sprechen zu können.

Da sie ebenfalls in Richtung Vientiane unterwegs waren, durfte ich mich ihnen anschliessen. Tom arbeitet als Velomech und Petra ist Pflegefachfrau. Eine perfekte Kombination. Die Strasse war an diesem Tag nicht gerade ein grosses Vergnügen. Es folgten immer wieder nicht asphaltierte Abschnitte, die für einige heikle Manöver sorgten. Petra verlor einmal die Kontrolle und stürzte. Zum Glück blieb sie, bis auf ein paar Kratzer, relativ unverletzt.

Am Abend quartierten wir uns in einem Guesthouse ein und unterhielten uns bis tief in die Nacht hinein. Zum Frühstück gab es am nächsten Morgen Zuckerrohrsaft mit Maiskolben. Lecker. Auch die Melone zum Znüni schmeckte köstlich. Das ganze Essen „sponserten“ mir Petra und Tom an diesem Tag. Im Laufe des Nachmittags erreichten wir Vientiane. Petra und Tom fuhren weiter zur Grenze, während ich in die Stadt fuhr. Dankä vielmal Petra und Tom für alles! Es hät gfägt.

Ein Guesthouse war bald gefunden. Nach 13 Tagen im Sattel erhole ich mich hier in der Stadt ein wenig, bevor es weiter nach Thailand geht. Ende Februar kommt mich mein Onkel in Bangkok besuchen, worauf ich mich riesig freue.