Guǎngdōng 广东- Guǎngxī 广西
Samstag, 14 Januar, 2012
- Seidenstraße
Bereits nach einem Tag hatte ich meine Ausrüstung und Kurd (mein Velo) wieder startklar. Am Donnerstag Morgen stand ich um 8:00 Uhr auf und wollte nach dem Frühstück gemütlich losfahren. Draussen regnete es jedoch in strömen. Easy, dachte ich. Da lege ich mich nochmals zwei Stunden aufs Ohr und schaue dann weiter. Der Plan war gut aber Petrus stand an diesem Tag nicht auf meiner Seite.
Meteoblue meteoblue.com/de meldete bis Samstag für den gesamten Süden Chinas inklusive Nordvietnams anhaltende Niederschläge. Als Individualreisender muss man flexibel sein. So verlängerte ich kurzerhand um einen Tag und ging mit Niat und Rainer, zwei deutschen Zimmergenossen, auf Stadttour. Beim Ziegendenkmal entschlossen wir uns, vor dem Regen in ein Café zu flüchten. Wir fanden ein kleines Lokal, das den grössten Cappuccino macht, den ich je getrunken habe. Im Bierglas! Er schmeckte erstaunlich gut.
Wir spielten bis am Abend Karten und liefen im Dunkeln nach Hause.
Am Freitag regnete es immer noch wie aus Eimern. Erneut verschob sich meine Weiterfahrt um einen Tag. Am Abend luden mich Rainer und Niat zum Nachtessen mit ein paar Freunden von ihnen, die in Guangzhou ihr freiwilliges, soziales Jahr (FSJ) leisten, ein. Mit sieben Personen insgesamt gab dies ein gewaltiges Bankett, so wie in China üblich. Deswegen liebe ich die Chinesen mittlerweile so sehr. Wenn gegessen wird, dann ordentlich!
Der Samstag war wirklich wettertechnisch richtig prognostiziert. Gegen Elf Uhr fuhr ich los. Zum Glück hatte ich am Vortag den Weg aus der Stadt schon ein wenig rekognosziert und fand den Ausgang relativ problemlos. Es herrschte viel Verkehr auf den Velowegen. Obwohl meine Mutter mir viele Ersatzteile und Gepäckstücke nach Hongkong gebracht hatte und mein Kurd ziemlich schwer beladen war, fühlte ich mich ziemlich klein neben den anderen Verkehrsteilnehmern.
Schon wenige Kilometer ausserhalb der Stadt, in Foshan, traf ich auf Anson. Er studiert in Guangzhou an der technischen Universität Agronomie, hat sich ein neues Velo gekauft und fährt jetzt erstmals für das chinesische Neujahr mit dem Velo nach Hause zu seinen Eltern.
Er kannte sich ziemlich gut aus in der Gegend und lotste mich perfekt auf die G324. Die Nationalstrasse führt von Guangzhou via Nanning bis nach Kunming. Nach vier Stunden verabschiedete Anson sich von mir und nahm die Abzweigung zum Dorf seiner Eltern.
Kurz vor Zhaoqing suchte ich ein Platz für die Nacht. Wegen der starken Besiedelung war das gar keine einfache Sache. Ein paar Strassenarbeiter zeigten mir dann schlussendlich einen grossen Parkplatz, wo ich mein Zelt aufstellen konnte. Der Platz wird momentan zum trocknen von Schilf verwendet. Neben einem dieser Haufen und unter Palmen, stellte ich mein Zelt auf. Das sich so ein komischer, weisser Velofahrer auf dem Parkplatz befindet hatte sich im Dorf anscheinend schnell rumgesprochen.
Bald war ich von einer Horde Kinder umringt, die mir interessiert beim Kochen zuschauten. Besonders der laute Primus Kocher faszinierte sie. Meine Mutter hatte mir Pesto und geriebenen Käse aus der Schweiz mitgebracht. So etwas hatten die Kinder noch nie gesehen. Ein Junge fragte mich plötzlich, ob da nicht noch Gemüse fehle? Ich versuchte ihm zu erklären, wie eine Pesto gemacht wird. Das verstanden die Kids nicht. Am Schluss zeigte ich auf der Weltkarte auf Italien und sagte „Italy. Food very special“. Da fingen alle an zu lachen und liessen mich in Ruhe meine Pesto essen. Vielen Dank Mami für diesen kulinarischen Höhenflug!
Das quirlige und rebellische Guangdong zählt zu Chinas reichsten Provinzen mit der stärksten wirtschaftlichen Entwicklung. Aufgrund der gebirgigen Topografie war sie jahrhundertelang vom Rest Chinas isoliert, was die Kantonesen zwang, sich auf ihren eigenen Pragmatismus und ihre Innovationskraft zu verlassen, um zu überleben.
In früheren Zeiten schickte man in Ungnade gefallene Beamte aus dem Norden hierher ins Exil. Wirtschaftlich stand Guangdong auf dem Abstellgleis, bis Deng Xiaopings „Politik der offenen Tür“ es der Provinz ermöglichte, sich zu entwickeln. Mit der Einrichtung der drei besonderen Wirtschaftszonen und der Aufnahme von Handelsbeziehungen zu Hongkong entwickelte sich die Wirtschaft mit raketenähnlicher Geschwindigkeit, was bis heute so geblieben ist. Zahlreiche rauchende Fabriken zersiedeln die eins subtropische Landschaft. Die Zukunft Chinas zeigt sich hier ungeschminkt, mit allen Nachteilen.
Mit dem Gebirge machte ich gleich am nächsten Tag Bekanntschaft. Durch Guangdong
zieht sich der nördliche Wendekreis (Tropic of cancer). Ein Wendekreis ist einer der beiden in 23°26’16“ nördlicher und südlicher Breite gelegenen Breitenkreise, die für die Sonnenbahn Grenzmarken darstellen. Die Wendekreise verlaufen 2600 km nördlich und südlich des Äquators. Zwischen dem nördlichen und südlichen Wendekreis befinden sich die Tropen. Die ganze Flora und Fauna wirken auf mich äusserst exotisch. Mit den vielen Kalksteinfelsen, Palmen, Orchideen und komischen Tieren wurde mir erstmals klar, dass ich langsam in eine neue Gegend gelangt bin. Durch die lange Zugfahrt quer durch China habe ich diese Veränderung gar nicht richtig wahrgenommen.
Auch an diesem Tag erlebte ich eine freudige Überraschung. An einer Bushaltestelle machte ich kurz Pause. Plötzlich flitzte Siaozhin an mir vorbei. Als er mich sah trat er voll auf die Bremse und gesellte sich mit seinem Velo zu mir. Er arbeitet als Ingenieur in Guangzhou und fährt jetzt ebenfalls zu seiner Familie um die Festtage bei ihnen zu verbringen. Er war einiges schneller unterwegs und besonders bei den Steigungen hatte ich ziemlich Mühe mit meinem Stahlross den Anschluss zu kriegen.
In einem kleinen Dorf lud mich Siaozhin zum Essen in ein Restaurant ein. Er und das Personal hatten riesig Freude an meiner Geschichte. Ich erzählte von meiner Reise und musste am Schluss mit allen ein Foto machen. Die Chinesen wirken auf mich im ersten Moment immer ein wenig verschlossen. Sobald man sich versucht mit ihnen zu unterhalten, sind sie aber enorm interessiert und haben riesigen Spass, wenn man ein paar Worte Mandarin sprechen kann.
Ich konnte mich gar nicht zu oft bei meinem Gastgeber bedanken. Eine Stunde später erklärte ich ihm, mitten in einer Bergetappe, dass für mich heute Feierabend ist. Nicht hier! Das ist viel zu gefährlich. Meinte er. Zwei Kurven und einige Höhenmeter weiter oben befahl er mir zu warten, fuhr in eine Mandarinenplantage, kam wenig später mit einem Sack voll Mandarinen zurück und sagte, ich könne hier in der Plantage übernachten. Was will man mehr?
Er wollte vor der Dunkelheit unbedingt in Luoding sein, weil seine Eltern dort auf ihn warteten. Nachdem ich mein Zelt aufgestellt hatte, kamen die Arbeiter vorbei und vergewisserten sich, dass mir auch nichts fehlte. Erstaunlich viele Frauen waren darunter. Auch sonst sieht man überall Frauen, die in der Landwirtschaft, auf dem Bau, im Forst und sogar im Steinbruch genau gleich wie die Männer arbeiten. Das nenne ich Emanzipation! Die Nacht in der Mandarinenplantage war eine der besten seit langem. Sonnenlicht gibt es hier genau von sieben Uhr am Morgen bis sieben Uhr Abends. Dadurch werden die Nächte im Zelt enorm lang. Mein Schlafmango aus Hongkong war bald auskuriert.
Der nächste Tag brachte wieder viele Steigungen, dafür ganz schöne Landschaften und nach Luoding ging es in eine neue Provinz, nach Guangxi. Die Zeltplatzsuche war an diesem Tag besonders mühsam. Erst kurz vor der Dunkelheit fand ich ein einigermassen ruhiges Plätzchen in einem Steinbruch. Das ganze Zelt war am nächsten Morgen klatschnass. Beim Aufstehen merkte ich auch weshalb. Draussen war stockdichter Nebel. Auf der Strasse herrschte eine mystische Stimmung. Man sah fast keine zehn Meter weit. Der Verkehr rollte dadurch nur sehr langsam vorwärts.
Guangxi bedeutet „weiter, grenzenloser Westen“. Jahrhundertelang verursachten Abgeschiedenheit und schwierige Topografie hier Armut, was ausserhalb grosser Städte heute immer noch ein Problem ist. Mit einer Fläche von 236’000 Quadratkilometer ist Guangxi die neuntgrösste Provinz des Landes, ihre Bevölkerungszahl liegt bei fast 46 Millionen.
Fast 75% der Bevölkerung Guangxis sind keine Han. Heutzutage stellen die Zhuang Chinas grösste ethnische Minderheit- weit über 15 Millionen leben in Guangxi. Die Provinz wird oft als Autonome Region Guangxi Zhuang bezeichnet und ist die Heimat einer kleinen Anzahl Menschen aus den Völkern der Dong, Maonan, Mulao, Jing (Vietnamesische Gin) und Yi.
Die nächsten zwei Tage ging es durch mehrheitlich von der Landwirtschaft geprägtes Gebiet. An jeder Ecke lauert wieder eine neue Überraschung. Kuriose Fahrzeuge, komische Nutztiere und ein riesiges Chaos mit viel Lärm, Staub und Hubkonzert begleiteten mich. Am Abend muss ich die Eindrücke erst einmal sammeln. Im Iran, Zentralasien und der Taklamakan Wüste war die Landschaft durch Stein und Sand geprägt. Die grosse Farbenpracht und die vielen Leute stellen ein grossen Kontrast zu dem dar.
Leider wird hier auch im grossen Still Kahlschlag betrieben. Als ehemaliger Forstwart und Baumpfleger schmerzte mich dieser Anblick sehr. Nachhaltige Waldwirtschaft scheint hier ein riesiges Fremdwort zu sein. Auch sonst wird hier der Abfall überall einfach weggeworfen. Die Flüsse und Landschaften sind teilweise übersät mit Müll. Zum Teil merkt man die Luftverschmutzung schon beim einatmen. In Sachen Umweltschutz hat China noch einiges nachzuholen. Da muss man kein Experte sein um das zu merken.
In den Städten ist es nicht immer einfach den Weg zu finden. In Guigang fragte ich eine Frau auf dem Elektroroller nach dem Weg. Sie versuchte mir zuerst auf Englisch den Weg zu erklären und meinte irgendwann, ich solle ihr folgen. Sie lotste mich durch kleine Gassen und Märkte und das in einem flotten Tempo. Ihr Sohn auf dem Rücksitz hatte sichtlich Freude an dieser Fahrt. Am Schluss stand ich tatsächlich am anderen Ende der Stadt. Die Frau entschuldigte sich sogar noch führ ihr Englisch und meinte „I’m sorry, my English very poor“.
Mittlerweile habe ich eine neue Lieblingsspeise zum Kochen entwickelt. Teigwaren mit Chilliöl, Zwiebel, Knoblauch und Eiern. In grossen Mengen ist das eine herrliche Kalorienbombe mit Treibgaseffekt. Genau das richtige für einen Velonomaden.
Der Verkehr auf den Strassen ist teilweise mörderisch. Verkehrsregeln werden absichtlich missachtet und bei jedem Überholmanöver muss gehupt werden. Ich sah in diesen sechs Tagen einige heftige Verkehrsunfälle und musste dabei oft an Alex denken fernziele.info. Bettina hat sich übrigens entschlossen weiter zu fahren und befindet sich momentan in Thailand. Ich bewundere diese Frau.
Für das ständige Hupkonzert auf der Strasse habe ich mir mittlerweile zwei Kategorien gemacht. Es gibt die Idioten und die Vollidioten. Die Idioten hupen vor dem Überholmanöver und versuchen Abstand zu halten. Die Vollidioten hupen erst, wenn sie haarscharf an einem vorbei fahren. In der Statistik folgen auf fünf Idioten meistens ein Vollidiot. Das ist meine Art mit dem chinesischem Verkehr fertig zu werden. Etwa 150 Kilometer vor Nanning stellte ich mein Zelt im Wald auf und fing an zu kochen.
Gerade als ich fertig war fing es an zu regnen. Es regnete die ganze Nacht durch. Am Morgen fällte ich einen Entschluss: bis nach Ninnang mussten es ungefähr noch 140-150 Kilometer sein. Mit viel Muskelkraft müsste dies in einem Tag machbar sein. Irgendwann beginnt man unter der Regenkleidung zu schwitzen und wird von innen und aussen nass. Für was braucht man beim Velofahren überhaupt Regenkleider? Es ging durch zahlreiche Dörfer in denen momentan gerade Zuckerrohre geerntet werden. Riesige Schlangen von Traktoren mit ihren überladenen Wagen säumen das Strassenbild. Es erinnerte mich ein wenig an die Zuckerrübenernte aus dem Dorf meiner Kindheit in Otelfingen.
Nach über neun Stunden im Sattel stand ich bei Anbruch der Dunkelheit tatsächlich in Nanning. Da ich keinen Tachometer dabei habe, weiss ich nicht wieviele Kilometer ich an diesem Tag gefahren bin. Es waren bestimmt nicht wenige. Das Lotusland Hostel war durch viel Fragen bald gefunden. Beim Check-in konnte ich gleich noch mein Vietnam Visa in Auftrag geben. Für Gäste des Hostels erledigen sie den Service zum gleichen Preis wie die Botschaft und man kann gemütlich im Zimmer warten bis das Visa im Pass ist. Eine tolle Idee!
So konnte ich am Freitag all die anderen Sachen erledigen, die an Ruhetagen auf Radreisen so anfallen. Wäsche waschen, nasse Sachen trocknen, aussortieren und Mails beantworten. Meine Velohosen haben sich hinten wieder mal aufgerissen. Entweder ist meine Hornhaut am Hintern gewachsen oder die Hose geschrumpft. Nach viel Fragen und einigen lustigen Erlebnissen, fand ich tatsächlich eine Schneiderin, die mir meine Hosen und den Icebreaker Pullover für 5 Yuan (80 Rappen) nähte. Am Schluss meinte sie nur ganz freundlich und stolz: „Welcome to Nanning“.
Meine Zimmergenossen schauten ziemlich blöd aus der Wäsche, als ich die vielen nassen Sachen im Zimmer aufhängte. Normalerweise steht auf dem Dach eine Leine zum trocknen zur Verfügung. Da Meteoblue für die kommenden drei Tage heftigen Regen meldet, erlaubte mir die Hostelleitung, die Sachen im Zimmer aufzuhängen. Am Abend war das Vietnam Visa tatsächlich an der Rezeption. So bleiben mir noch zwei Regentage in Nanning und dann geht es nach fast 4 Monaten in China weiter in ein neues Land. Ich freue mich ganz besonders auf ein Wiedersehen mit der Nomadbikefamily fr.nomadbikefamily.org in Hanoi.