Vom Regen in die Traufe

Vom Regen in die Traufe


Am Sonntag fuhren wir von Hangzhou mit dem neuen Schnellzug, der 305 km/h fährt, in 6 Stunden zurück nach Beijing. Damit wir keine Schwierigkeiten mit unserem Velo kriegten, fuhren wir am Tag vor unserer Abreise extra an den Flughafen, um alles abzuklären. Auf dem Terminal wurde uns versichert, dass wir problemlos 3 Stunden vor dem Flug mit unserem Velo dort erscheinen können. Zurück im Hotel beerdigten wir mit einer grossen Zeremonie unseren Lonely Planet Reiseführer für China und gingen früh ins Bett, da unser Flug bereits um 6:10 Uhr am nächsten Tag startete.

Grüne Serviettenhalter, Lonely Planet Reiseführer China, Plüsch-Panda mit rotem Herz auf dunklem Hintergrund

Pünktlich um 3:00 Uhr standen wir am Flughafen. Dort begann der ganze Alptraum. Am Check- In wusste niemand so genau, was mit dem Velo anfangen. Zuerst mussten wir 250 Dollar Übergewicht bezahlen und als das Velo nicht durch den Scanner passte, wurden wir gebeten zu warten. Etwa eine Stunde vor Abflug, wurden wir langsam nervös und fragten was los sei. Niemand informierte uns und alle anderen Flugpassagiere hatten bereits ihr Gepäck aufgegeben. Erst als ich das erste Mal auf den Tisch schlug, begannen sich die Angestellten zu bewegen.

Wir wurden ins Ankunft Terminal gebracht, wo wir es erneut versuchen sollten. Nach 20 minütlicher Suche standen wir wieder vor einem gleichen Scanner wie vorher. Jetzt wurden meine Mutter und ich richtig sauer. Uns war klar, dass der Flieger ohne uns abfliegt. Als wir eine schriftliche Erklärung verlangten, damit wir unser Geld zurück fordern können und einen neuen Flug finden, der uns nach Berlin bringt, wurde der Manager der Fluggesellschaft gerufen. Dieser weigerte sich irgendwelche Sachen zu unterschreiben und wirkte völlig inkompetent. Tief frustriert standen wir wenig später vor dem Terminal und fragten uns, wie wir nun China verlassen sollten.

Nach einer Weile fanden wir dann heraus, dass am Terminal 3 noch am selben Tag ein Flieger Richtung Frankfurt fliegen würde. Da dieses Terminal jedoch 20 Kilometer weiter entfernt lag, mussten wir ein Taxi nehmen (300 Yuan= 50 Dollar) um dorthin zu gelangen. An diesem Terminal wurden wir schon viel kompetenter beraten. Die Fluggesellschaft schickte uns zuerst zum Duty Manager, welcher mein Velo vermass und mit dem Captain telefonierte um sicher zu gehen, dass mein Velo auch mitkam. Das nächste Problem kam gleich danach. Der Flug kostete 3’100 Dollars und war nur in Yuan- oder Dollarnoten bezahlbar. So blieb uns keine andere Wahl, als unser gesamtes Bargeld umzutauschen und mein Konto leer zu räumen. Das Velo musste dann noch verpackt werden und mit viel Müh und Not brachten wir das ganze Packet durch den Scanner.

Gepäckwagen mit großen Kartons und Koffern in Flughafenhalle mit Menschen im Hintergrund

Wir waren schwer erleichtert und frustriert zu gleich, als wir nach 9 Stunden uns endlich mal kurz hinsetzen konnten. Pünktlich um 14:00 Uhr konnten wir dann in unseren Flieger einsteigen. Beim Abflug schwor ich mir, China nicht mehr so schnell zu besuchen. Der ganze Ärger am Schluss hat meine Einstellungen gegenüber dem kommunistischen System noch vergrössert.

Aus meiner Sicht ist das Reich der Mitte ein riesiges und faszinierendes Land, mit einer uralten, traditionsreichen Kultur. Leider wird unter dem Deckmantel des Kommunismus viele dieser Werte zerstört. Für die Menschen in diesem Land hoffe ich, dass auch sie eines Tages frei ihre Meinung äussern dürfen und die Menschenrechte im Allgemeinen eingehalten werden. Eindrücklich zu beobachten aus dem Flugzeugfenster heraus war auch die Smog Wolke über Beijing. Unglaublich, wie stark verschmutzt diese Stadt ist! Die 10 Stunden Flugzeit verbrachten wir beide ohne viel Schlaf.

Flugzeugflügel über weißem Wolkenmeer, blauer Himmel und Horizont, Blick aus Passagierflugzeug

Bereits bei der Ankunft am Flughafen in Frankfurt kam der erste Kulturschock. Auf einmal kann man sich mit all den Menschen wieder verständigen und es gibt so viele leckere Sachen zu essen. Was uns ebenfalls sofort auffiel, waren die vielen Übergewichtigen Menschen. Im Verhältnis zu Asien scheinen die Menschen in Deutschland um einiges voluminöser. Natürlich hatte unser Anschlussflug nach Berlin eine Stunde Verspätung und nach der Landung funktionierte das Förderband an der Gepäckausgabe nicht mehr. Mein Velo kam unversehrt, jedoch ohne Verpackung an. Chinesische Qualität ist halt eben schon nicht die Beste!

Genau um Mitternacht, nach 30 Stunden, kamen wir in unserem Hotel an und fielen bald ins Bett. Der Jet Lag kombiniert mit dem Kulturschock sorgte am nächsten Tag für leichte Startschwierigkeiten. Zudem mussten wir uns auch noch um das Flughafen Debakel kümmern. Zum Glück habe ich vor meiner Abreise noch ein kleines Notreserve Konto eingerichtet und konnte dieses Geld per Internet überweisen. Ansonsten wäre meine Reise wohl zu Ende gewesen.

Nach einem traumhaften Frühstück ging es zum Alexanderplatz, wo wir Sandra und Stefanie trafen. Sie waren am Morgen von Zürich aus nach Berlin geflogen um mich zu besuchen. Zuerst mussten wir uns natürlich ein wenig austauschen. Schliesslich sind schon 16 Monate vergangen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Am nächsten Tag besuchten meine Mutter und ich das jüdische Museum. In keinem der Museen in Asien waren die Dinge so detailliert erklärt wie hier. Nach 2 Stunden war mein Kopf überfüllt und nicht mehr in der Lage weitere Infos auf zu nehmen.

Zum Abendessen führten Sandra und Stefanie uns in ein leckeres Indisches Restaurant. Regen, Kälte, die sauberen Strassen uvm. sind schon erstmal gewöhnungsbedürftig. Besonders blöd schaut man, wenn auf einmal nicht mehr gehupt wird und die Autos bremsen, wenn man über die Strasse will. Bereits am nächsten Tag mussten wir uns wieder von Sandra und Stefanie verabschieden. Dankä vielmal ihr Zwei und schöni Reise!

Drei Personen vor U-Bahn-Schild Kurfürstendamm, grüne Metall-Eingangskonstruktion, Stadtstraße im Hintergrund

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Unser Drang war nach Sehenswürdigkeit war nach diesen 3 Wochen langsam gestillt. So genossen meine Mutter und ich die letzten gemeinsamen Stunden gemütlich im Hotel bevor wir uns am Flughafen voneinander verabschieden mussten. Vielen vielen Dank Mami für die tolle Zeit und bis bald! Der nächste Morgen begrüsste mich mit einer starken Regenschauer. Olaf, ein Freund aus der Clownschule war ebenfalls gerade in Berlin und so verabredeten wir uns zu einem Mittagessen. Es war super schön mit ihm über alte Zeiten zu quatschen. Olaf flog noch am selben Tag in die Ferien nach Thailand und ich wollte die Stadt noch mit dem Velo verlassen bevor es dunkel wurde. So verabschiedeten wir uns ziemlich bald wieder voneinander. Danke Olaf und geniesse deinen Urlaub.

Bald gedeckter Tisch mit zwei Tellern Falafel, Salat, Tomaten und zwei Gläsern Tee. Ein lächelnder Mann im Adidas-Shirt gibt Daumen hoch
Zwei Männer in Radjacken stehen an einem Baum, schwarzes Auto und Fahrräder im Hintergrund einer städtischen Straße

Dank einem Stadtplan und Olafs Beschreibung war der Weg aus Berlin heraus bald gefunden. Vorbei am Schloss Charlottenburg, über ein paar Kanäle und immer schön dem Radweg folgen. Unglaublich, was es in Deutschland gibt! Ein solch Velofreundliches Land habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Ich war den Tränen nahe.

Barockes Schlossgebäude mit türkis-grüner Kuppel, graue Wolken, Kopfsteinpflaster, Touristen im Vordergrund
Graues Schiff an Anlegestelle neben modernem Betonbau, grüne Bäume, Turm im Hintergrund, bewölkter Himmel
Breite Straße mit Radweg, rotem Fahrradschild und beladenem Fahrrad am Straßenrand unter Bäumen

Die ersten zwei Tage waren vom Wetter her ziemlich kühl und nass mit viel Gegenwind. Dafür sehr flach. Kurz vor Magdeburg traf ich zwei Liegevelofahrer aus Österreich, die passionierte Reiseradler sind.

Radfahrerin mit beladenen Fahrradtaschen steht an einer Waldstraße, trägt gelbes Shirt und graue Shorts
Älterer Radreisender mit grünem Shirt und Mütze steht mit Fahrrad an Waldstraße, blaue Seitentasche

Ihre Aerodynamik war definitiv besser, als die Meinige und ich hatte ziemlich Mühe ihnen zu folgen. So verabschiedeten wir uns nach kurzer Zeit wieder von einander. Doch zufällig kreuzten sich unsere Wege erneut am nächsten Tag, als ich durch Magdeburg fuhr. Wildcamping ist nicht sehr schwierig hier in Deutschland. Man findet immer irgendwo ein Plätzchen.

Graues Zelt zwischen Bäumen und hohem Gras, Fahrrad mit Gepäcktaschen im Hintergrund, regnerische Waldatmosphäre

Schon nach kurzer Zeit traf ich in Lutherstadt Eisleben ein. Die Lutherstadt Eisleben ist bekannt als Geburts- und Sterbeort Martin Luthers. Zu Ehren des größten Sohnes der Stadt führt Eisleben seit 1946 den Beinamen „Lutherstadt“. Die Luthergedenkstätten in Eisleben und Wittenberg zählen seit 1996 zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Martin Luther war der theologische Urheber und Lehrer der Reformation. Als zu den Augustinermönchen gehörender Theologieprofessor vollzog er eine reformatorische Wende in seinem Glauben und Denken, nach der er sich ausschließlich an Jesus Christus als dem „fleischgewordenen Wort Gottes“ orientierte. Nach diesem Maßstab wollte er Fehlentwicklungen der Christentumsgeschichte, die es nach seinem Urteil gab, überwinden. Er gilt damit als Vertreter einer Verkündigungstheologie.

Seine Betonung der Gnade Gottes, seine Predigten und Schriften – besonders seine Lutherbibel – veränderten die von der römisch-katholischen Kirche dominierte Gesellschaft im ausgehenden Mittelalter und der beginnenden Neuzeit nachhaltig. Sie wurden von einigen europäischen Fürstentümern des 16. Jahrhunderts dazu genutzt, die Zentralmächte von Papst und Kaiser zurückzudrängen. Unter ihrem Einfluss kam es entgegen Luthers Absicht zu einer Kirchenspaltung, zur Bildung evangelisch-lutherischer Kirchen und weiterer Konfessionen des Protestantismus. Ich besuchte zuerst das Geburtshaus und anschliessend die Taufkirche. Beide Gebäude sind sehr schön renoviert.

Gelbes Altstadthaus an Strassenecke mit zwei geparkten Fahrrädern, Metallzaun und Baum im Hintergrund
Mittelalterliche Steinkirche mit gotischen Bögen, gelber Fassade und hohem Turm, bewölkter Himmel im Hintergrund
Steinerne Gedenktafel mit barockem Rahmen und Relief eines Mannes in schwarzer Robe, umgeben von ornamentalen Verzierungen
Nahaufnahme einer dunklen Bronzebüste eines Mannes mit nach oben gerichtetem Blick vor einer beigen Hauswand

Da ich nach vier Tagen wieder einmal das Bedürfnis auf eine Dusche hatte, entschloss ich mich an einem Stausee auf dem Campingplatz zu übernachten. Schon verrückt, was man hier an Preisen zahlt. 10 Euro für eine Nacht auf dem Platz. In Südostasien hätte ich zum gleichen Preis zwei Nächte damit in einem Hostel übernachten können. Am Abend lernte ich einen Vater mit seiner Tochter aus Kopenhagen kennen. Sie waren sehr interessiert an meiner kleinen Veloreise und luden mich am nächsten Morgen zum Frühstück ein.

Mann und Frau in Freizeitkleidung stehen auf grüner Wiese neben grünem Auto, Wohnwagen im Hintergrund

Zwei Tage später hatte ich das Weratal erreicht. Dank den ausgeschilderten Radwegen war die Orientierung Kinderleicht. In Hannelore Münden fliesst die Wera in die Weser Richtung Norden. Genau meine Richtung also. Vorbei an Schafweiden ging es immer dem Fluss entlang mit einigen Regengüssen. Kurz vor Mittag genoss ich jeweils die riesige Auswahl an Lebensmitteln in den Supermärkten. Nach 16 Monaten in Asien muss ich mich ab und zu selbst kneifen um immer wieder festzustellen, dass dies die Realität ist.

Reihe traditioneller Fachwerkhäuser mit rot-weißen Holzfassaden in einer schmalen Straße einer deutschen Kleinstadt
Dreieckiges grün-weißes Schild mit schwarzem Vogelsymbol und dem Text 'Naturschutzgebiet' vor dunklem Blattwerk
Mehrere Schafe mit dickem Fell grasen auf einer saftigen grünen Wiese, einige stehen dicht beieinander
Flusslandschaft mit Fährboot, deutscher Flagge, grünen Wiesen und bewaldeten Hügeln im Hintergrund
Verschiedene Lebensmittel auf Pflastersteinen: Bananen, Brot, Cola-Flasche, Milchprodukte und Verpackungen
Radreisender in blauer Jacke und Helm sitzt zwischen Bäumen neben vollbepacktem Fahrrad mit Satteltaschen und Gepäck

Am Samstag überquerte ich den Deister, zweigte bei Barsinghausen links ab und war gegen Mittag in Bantorf.

Radfahrer steht neben Ortseingangsschild von Bantorf, bewölkter Himmel, Bäume und Straße im Hintergrund

Dort gab es ein riesig schönes Wiedersehen mit Silke, Steffen, Heike und der ganzen Crew. Als ich kurz vor meiner Abreise, im März 2011, das letzte Mal hier war sah alles ganz anders auf. Silke und Steffen haben in der Zwischenzeit geheiratet, den alten Schafstall komplett umgebaut und ein Café daraus hervor gezaubert. Ich war sprachlos. Der Bau ist wirklich wunderschön geworden.

Schild für 'Café im Schafstall' mit blauem Auto, Holzzaun und Backsteingebäude im Hintergrund
Traditionelles Fachwerkhaus mit weißen Ausfachungen und rotem Ziegeldach, umgeben von Grünfläche und Bäumen, ein Hund liegt im Gras

Zudem ist ein halber Zoo hier eingezogen. Otto, der Hund. Zwei Gänse, zwei Pfauen, vier Zwergziegen, fünf Hühner, zwei Laufenten und natürlich die vielen Pferden.

Drei Ziegen in unterschiedlichen Farben und Größen auf einer schlammigen, teilweise bewachsenen Wiese stehend
Drei braune Hühner mit schwarzem Kopf auf einem schlammigen Pfad zwischen grünem Gras
Dunkelbraunes Pferd steht auf Pflasterklinkerweg vor Ziegelgebäude mit weißgekleideter Person im Hintergrund
Zwei reinweiße Gänse stehen auf einem grauen Kopfsteinpflaster vor einer Holztür mit Sprossenfenstern
Brauner Welpe, vermutlich eine Doggenrasse, steht auf grünem Rasen neben einem Zaun und einer Schubkarre
Surreales Gefährt aus Zahnrädern und Uhren mit Sonnenschirm, steht an einem Gewässer mit gelben Zelten im Hintergrund

Ferien auf dem Bauernhof sind natürlich sehr gesund. So wurde ich gleich am nächsten Tag in die Arbeit mit ein bezogen. Bäume und Sträucher schneiden, Dachrinne reinigen, Garten umgraben, Pfähle einschlagen usw. Es wird nie langweilig hier auf dem Weberhof. Heike und ihre Familie lud mich am Abend zum Kleinen Fest im Grossen Garten in den Herrenhäuser Gärten in Hannover ein. Wir hatten riesen Glück mit dem Wetter und konnten bei wunderschönem Sonnenschein die vielen Spektakel geniessen, die sich auf und neben den Bühnen abspielten.

Drei Tänzer in gestreiften rot-weißen Shirts und weißen Mützen auf einer Bühne vor dunklem Hintergrund
Mehrere Gänse laufen über einen Weg, neben ihnen ein Soldat in historischer Uniform mit Marschmütze
Surreales Gefährt aus Zahnrädern und Uhren mit Sonnenschirm, steht an einem Gewässer mit gelben Zelten im Hintergrund
Person in roter Kleidung balanciert auf sehr hoher Holzleiter vor grünem Baumhintergrund, Zuschauer am Boden

Eine Woche lang durfte ich tatkräftig auf dem Hof mithelfen. Jetzt ist es an der Zeit wieder in den Sattel zu steigen, zuerst wieder an die Weser zu fahren und dann via Bremerhaven der Küste entlang in die Niederlanden ein zu radeln. Vielen herzlichen Dank Silke, Steffen, Heike und der ganzen Crew für die tolle Woche bei euch und bis zum nächsten Mal. Auf Nachrichten freue ich mich immer wieder wasserclown@gmx.ch. Bis dahin sag ich nur: „Moin Moin und Schiff ahoi!“