29:1

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Der Kulturschock kam gleich nach der Landung am Flughafen Haneda in Tokio. Geteerte Strassen, Magnetschwebebahnen, Flugzeuge, Frachtschiffe und sogar Velowege fast durch die ganze Stadt.

Nach 27 Monaten in Afrika, Indien und Nepal war ich mir eine solche Infrastruktur einfach nicht mehr gewohnt. Zudem wird in Japan nicht gehupt! Was für eine Wohltat für meine Ohren.

Besonders die Dimensionen in dieser Stadt sind immens. Mit 36,9 Millionen Einwohnern (2015) ist sie die größte Metropolregion der Welt. In ihr lebt ungefähr 29 Prozent der Gesamtbevölkerung Japans.

Natürlich ist dadurch auch alles ein wenig teurer, wenn nicht schon fast vergleichbar mit den Schweizer Preisen. Einen Campingplatz konnte ich mir aber gerade noch leisten.

Nach einer Woche radelte ich los in nördliche Richtung und besuchte als erstes Nikko. Der Ort ist ein beliebtes Ausflugsziel, da sich hier viele historische Gebäude und Denkmäler befinden.

Am meisten beeindruckte mich der Tempel Nikkō Tōshō-gū. Er ist Tokugawa Ieyasu, dem Gründer der Tokugawa-Dynastie, gewidmet und wurde 1617 erbaut. 1999 wurde er von der UNESCO mit anderen Schreinen und Tempeln in Nikko zum Welterbe ernannt.

Danach stieg ich wieder in den Sattel. Japan ist überhaupt kein flaches Land. Entweder geht es hoch oder runter. Flache Strecken findet man nur ganz selten. Gerade im Sommer gibt es aber noch ein anderes Phänomen hier: Taifune.

Diese tropischen Wirbelstürme bringen meistens ganz viel Regen mit sich. Anfangs versuchte ich noch mein Zelt irgendwo im Freien aufzustellen. Jedoch musste ich bald umdisponieren. Zum Glück ist Wildes Campen hier in Japan aber überhaupt kein Problem.

Richtig erwischt wurde ich zum ersten Mal kurz vor dem Hafen in Oma, am nördlichen Ende von Honshu. Gerade noch rechtzeitig konnte ich in eine Autowerkstatt flüchten bevor der Taifun mit voller Wucht durchzog. Ein Sommergewitter in den Alpen ist Kindergeburtstag dagegen!

Japan ist nach Indonesien, Madagaskar und Papua-Neuguinea der viertgrößte Inselstaat der Welt. Die Hauptinseln sind Hokkaido im Norden, die zentrale und größte Insel Honshu sowie Shikoku und Kyushu im Süden.

Nach dem Tsunami Erlebniss nahm ich in Oma die Fähre und wechselte von Honshu auf Hokkaido über. Hokkaido ist die Heimat des Volks der Ainu, aus deren Sprache viele geografische Bezeichnungen auf der Insel, zum Beispiel auch der Name der Hauptstadt Sapporo, resultieren.

Im Land von Mitsubishi, Toyota, Yamaha, Suzuki, Kawasaki usw. hat man es als Velofahrer nicht immer einfach. Ein richtiger Japaner muss ein Auto haben. Hubraum statt Wohnraum hat hier höchste Priorität.

Bei 127 Millionen Einwohnern kann sich jeder selber ausmalen, wie es auf den Strassen so abgeht. Viel Platz bleibt da nicht mehr für einen komischen, vollbeladenen Velofahrer. Zudem ist Strassenunterhalt ein Fremdwort hier und häufig wachsen die Pflanzen fast in die Strasse hinein.

Neben der Sprachbarriere und dem Wetter war dies aber das einzige Problem womit ich zu kämpfen hatte. Nach einem Monat in Japan hatte ich eine Bilanz von 29:1 in Regen- vs. Sonnentage.

Zum Wäsche waschen musste ich jeweils in eine Coin Laundry. Dort gibt es gleich Waschmaschine und Trockner. Ansonsten wird die Wäsche nie mehr trocken. Das Lied von Peach Weber- Nachem Räägne ging mir fast jeden Tag durch den Kopf.

Im Shiretoko Nationalpark hatte ich jedoch richtig Glück mit dem Wetter. Der Park ist bekannt für die größte Bärenpopulation Japans und für die Aussicht auf die Insel Kunashiri, die von Russland besetzt ist, aber von Japan beansprucht wird.

Bären bekam ich keine zu sehen. In den Wäldern Japans sind zwei Bärenarten beheimatet – der Kragenbär und der Braunbär. Ein vegetarischer Velofahrer schmeckt anscheinend nicht so gut.

Mein Primus Kocher geniesst die Zeit hier in Japan auch sehr. Seit Anfang an habe ich ihn praktisch nicht mehr angeworfen. In den vielen Shops sind, wie in China auch, fast überall heisses Wasser und Nudelsuppen in allen Variationen erhältlich.

Vegetarisches Kost zu finden ist nicht immer ganz einfach. In Japan gilt immer noch das Prinzip: „Wenn sich was bewegt, hau drauf und friss es“. Man muss aber auch als Pflanzenfresser nicht verhungern.

Tunnelbau scheint den Bauingenieuren hier ganz gross Spass zu machen. Jedoch finde ich das mit dem Velo nicht so toll. Besonders wenn die Tunnels mehrere Kilometer lang sind. Schon nach kurzer Zeit litt ich unter akuter Tunnel Phobie.

Was mir an Hokkaido besonders gut gefiel ist die Natur. Auf vielen Abschnitten gibt es häufig nur bewaldete Hügel. Nach all den Wüsten- und Buschlandschaften in Afrika und Südasien genoss ich diese grüne Vielfalt in vollen Zügen.

Nur muss ich an dieser Stelle mal mit dem lieben Herrn Petrus schimpfen. Dauerregen finde ich nicht geil! Wenn man am Morgen in klatschnasse Kleider steigen muss und es einem den ganzen Tag auf den Kopf regnet hört der Spass irgendwann mal auf.

Nach fast 2 Monaten erreichte ich den Hafen von Tomakomai und reservierte dort mein Ticket für eine Fähre zurück nach Oarai in der Nähe von Tokio. Langsam kündet sich der Herbst an hier in Hokkaido und ich möchte unbedingt noch den südlichen Teil von Japan sehen bevor mein 3 Monate Visa abläuft.