Çay

Çay


Auf der Fähre von Rhodos nach Fethiye lernte ich Jordine aus Australien kennen. Sie reist seit 4 Monaten durch Europa. Bei unserer Ankunft am Hafen fielen mir gleich zwei Dinge auf: die Leute waren plötzlich wieder freundlich und das Essen schmeckte einfach fantastisch. Vor 4 Jahren bin ich das letzte Mal durch die Türkei geradelt. Die Gastfreundschaft der Menschen hatte mich damals tief beeindruckt. Ich war gespannt, wie sich das Land bisher verändert hatte.

Jordine und ich gingen zusammen in ein kleines Restaurant und assen gleich mal eine Pide (türkische Pizza). Eines hat sich geändert seit meinem letzten Besuch: die Währung (türkische Lira) ist günstiger geworden. Der Kellner schenkte uns den Aperitif und am Schluss noch eine Runde Cay (Schwarztee mit Zucker). So etwas ist mir in keinem griechischem Restaurant passiert.

Ohne moderne Navigationsmittel zu reisen kann einen manchmal in Sackgassen führen. Das geschah mir am folgenden Tag. Ich versuchte eine Strasse der Küste entlang zu suchen. Nach 30 Kilometern, unzähligen Höhenmetern und Hitze von 42°C war die Strasse in einem kleinen Dorf plötzlich zu ende. Völlig frustriert musste ich den ganzen Weg bis Fethiye wieder zurück radeln. Vor einer Moschee schenkten mir unterwegs ein paar junge Männer einen ganzen Sack voll mit Trauben und wünschten mir alles Gute. Bei so viel herzlichkeit vergisst du schnell den Frust.

Strassenbau ist leider nicht die Stärke der Türken. Steigungen unter 10% Prozent sind eine echte Seltenheit und der Belag besteht zum Teil aus ganz komischen Mischungen. Aber wenigstens haben sie ein wenig an die Velofahrer gedacht und fast immer einen kleinen Seitenstreifen am Rand gebaut. Was bei einem türkischen Auto nie fehlen darf, ist die Hupe. Man kann sie als Ersatz für den Blinker verwenden oder einfach um sich gegenseitig zu grüssen. An mir scheinen sie riesige Freude zu haben. Ich nehme mit der Zeit das Hupkonzert gar nicht mehr richtig wahr und fühle mich manchmal wie ein Fahrer an der Tour de France.

Von Fethiye aus gibt es 2 Varianten nach Antalya. Eine Kurze durch die Berge und die etwas Längere der Küste entlang. Die zweite Variante finde ich verlockender. An einer Tankstelle begegne ich einem Rennrad Fahrer aus Istanbul. Er radelt mit seinem Rennrad und 10kg Gepäck durch die Türkei.

Schlafmöglichkeiten gibt es hier mehr als genügend. Am besten eignen sich immer noch Tankstellen und sonst finde ich fast immer ein Waldstück. Es vergeht kein Tag ohne das ich nicht mindestens dreimal zum Tee eingeladen werde. Die Leute interessieren sich sehr für meine Reise. Doch noch mehr verwundert sie, dass ich nicht verheiratet bin. Mittlerweile habe ich mir eine Standard Antwort zurecht gelegt, sobald die Frage nach meiner Frau auftaucht. Ich zeige dann immer auf mein Velo und antworte: „das ist meine Frau“. Meistens wird das mit einem grossen Lachen akzeptiert.

Etwa 100km vor Antalya kommen mir 2 iranische Tourenfahrer entgegen. Hamed und Hadi fahren während der iranischen Neujahrsfeier für ein paar Wochen durch die Türkei. Ich erzähle ihnen von meiner Reise durch den Iran und wie mich die Gastfreundschaft damals so sehr beeindruckt hat. Wir diskutieren fast eine ganze Stunde, machen Fotos und am Schluss schenken mir die Beiden einen kleinen Glücksbringer.

Gleich am nächsten Tag treffe ich schon wieder einen Tourenfahrer an der Abzweigung nach Cirali. Evert ist mit einem Freund zusammen von Istanbul aus los geradelt. Dieser wollte unbedingt den Mount Ararat (höchster Berg der Türkei) besichtigen. Dieser liegt im kurdischen Teil des Landes. Für Evert ist die Situation dort momentan zu heikel. Er fährt deshalb lieber ein wenig der Küste entlang.

Nach 6 Tagen komme ich ziemlich verschwitzt in Antalya an. Normalerweise herrscht von Mitte Juni bis Mitte September tropische Hitze (42° Grad und hohe Luftfeuchtigkeit) hier an der türkischen Riviera. Aber genau diesen Sommer scheint die Hitzewelle noch länger an zu halten. Seit 2013 verkehren keine Schiffe mehr von Antalya aus nach Zypern. In Alanya könnte es aber noch Verbindungen geben. Niemand kann mir das aber 100 prozentig bestätigen.

Die 300km haben mich ziemlich erledigt. Deshalb beschliesse ich mich ein paar Tage hier zu erholen. Zufällig ist Jordine auch gerade in Antalya. Wir verbringen 3 gemeinsame Tage mit schwimmen im Meer, werden von einer Sprachschule zum Englisch Unterricht eingeladen und besuchen Termessos. Dabei finde ich auch endlich einen Namen für meine Giraffe. Sie heisst jetzt Lucy. Nach dem ältesten menschlichem Skelett, das bisher gefunden wurde (in Afrika).

Termessos war eine antike Stadt in Kleinasien im Süden der heutigen Türkei. Sie lag im Südwesten der Landschaft Pisidien ca. 30 km nordwestlich der heutigen Stadt Antalya auf etwa 1000 m Höhe unterhalb des Berges Solymos (heute Güllük Dağı). Um 500 v. Chr. musste das Perserreich wegen Termessos’ Wehrhaftigkeit der Stadt Autonomierechte gewähren. Alexander der Große belagerte Termessos 334/333 v. Chr. vergeblich. Heute sind Reste der Verteidigungsringe, Stadtmauern, Tempel und anderer Gebäude zu besichtigen. Insbesondere das gut erhaltene antike Theater und das Odeion lohnen den Fußmarsch auf die Bergfestung.

Nachdem Jordine abgereist ist, trifft Joshia ein. Wir hatten uns vor ein paar Monaten in Pristina (Kosovo) getroffen. Er hat sich entschieden die Türkei ein wenig näher anzuschauen und hat ebenfalls die 2 Iraner unterwegs getroffen. Wir philosophieren einen ganzen Tag zusammen über das Tourenfahren und lassen uns in einem veganischen Restaurant (unglaublich, aber wahr!) mehrere Brettspiele zeigen. Das scheint die lieblings Beschäftigung hier zu sein. Ganze Gruppen stehen manchmal um die Spieltische herum.

Nach 5 erholsamen Tagen fahre ich weiter und habe noch keine Ahnung, dass jetzt eine grosse Odysse für mich beginnt.

Die Türkei hat zwei Gebiete im ganzen Land, die einigermassen flach sind: Istanbul und das Gebiet zwischen Antalya und Alanya. Für 100km kann ich zum ersten und einzigen mal gerade aus radeln. Mehr als 50km schaffe ich trotzdem kaum. Mein 75kg schwerer Traktor lässt sich halt nur mit Muskelkraft bewegen. Vor Alanya erlebe ich einen richtigen Sommersturm. Innerhalb von wenigen Minuten ist der Himmel völlig schwarz. Ein Wind bläst Blätter, Müll und ganze Plastikstühle durch die Gegend. In einem Park finde ich ein Wellblechdach. Ein trockener Schlafplatz, denke ich. Doch die ganze Nacht zieht ein Gewitter nach dem Anderen durch. Um 5:00 Uhr Morgens merke ich plötzlich, dass ich im Wasser liege. Das Gewitter hat den ganzen Park überflutet. Am Hafen von Alanya wird mir erklärt, dass seit letztem Sommer auch hier keine Fähren mehr nach Zypern verkehren. So bleibt mir nichts anderes übrig, als nochmals 400km weiter bis Tasucu zu fahren.

In einer der mörderischen Steigungen überholt mich plötzlich ein Tourenfahrer. Bulut kommt aus Mersin und radelt gerade nach Hause. Sein Englisch ist etwa so gut wie mein Türkisch. Trotzdem schaffen wir es uns gemeinsam zu verständigen. Da momentan gerade Bayram ist, lädt er mich zu seiner Schwester in Anamur ein.

Siebzig Tage später, ab dem zehnten Tag des Pilgermonats (arabisch: Dhu l-hiddscha) findet das Kurban Bayramı „Opferfest“ (arabisch: ‚Īd ul-Adha) statt, das als höchstes islamisches Fest gilt. Es erinnert nach islamischer Überlieferung an die verhinderte Opferung von Ismael durch seinen Vater Abraham. Ein zugehöriges Ritual ist daher die Opferung eines Schafes oder einer Kuh. Das Opferfleisch wird an bedürftige Menschen, an die Nachbarn und an Freunde verteilt.

Seine Nichte spricht ein wenig Englisch. Ich werde wie ein König behandelt. Während die Familie auf dem Balkon gerade eine Ziege zerlegt, kommen viele Nachbarn um mich und Bulut zu sehen. Zwei verrückte Velofahrer bieten mal eine schöne Abwechslung. Nach einenhalb Tagen verabschiede ich mich von Bulut und seiner Familie.

Die letzten 100km bis nach Tasucu verlangen mir nochmals alles ab. Eine steile Küstenstrasse folgt der Anderen. Ich juble wie verrückt, als ich nach 3 Wochen und 800km Strecke dort ankomme. Am Hafen bekomme ich gleich ein Ticket für die Überfahrt um Mitternacht.

Obwohl dieser Abstecher in die Türkei nicht geplant war, habe ich mich sehr gefreut wieder hierher zu kommen. Die Gastfreundschaft und Offenheit der Menschen in diesem Land finde ich einfach toll. Man fühlt sich richtig willkommen. Als Velofahrer hat man immer Hunger und das türkische Essen werde ich in Afrika bestimmt noch einige Male vermissen. Allen Menschen, die mich in diesen 3 Wochen eingeladen haben möchte ich von ganzem Herzen danken. çok teşekkür ederim!