Daumen hoch

Daumen hoch


Zoltàn und ich mussten uns noch 2 Tage gedulden, bis unsere Zelte repariert waren für die Weiterreise nach Äthiopien. Die Zeit in Khartoum war enorm erlebnisreich. In einem kleinen Elektrogeschäft lernten wir George kennen, der uns den Schneider Nabil empfahl. Sie wurden in den wenigen Tagen, die wir in der Hauptstadt verbrachten bald zu guten Freunden.

Die Familie von George kommt ursprünglich aus Syrien. Sie sind gläubige Protestanten. Besonders seit der Abspaltung vom Süd Sudan im Jahre 2011 hat sich ihre Situation nicht gerade zum besten gewendet. Nach wie vor haben sie eine Kirche hier in Khartoum. Viele von ihnen haben in den letzten Jahren jedoch versucht im Ausland eine neue Zukunft auf zu bauen.

Nabil ist in New York aufgewachsen, hat nach dem College sein Studium hier in Khartoum gemacht und ist seither nicht mehr zurück gekehrt. Er ist gläubiger Muslim und begeisterter Velofahrer. Wir verbrachten einige Stunden zusammen auf dem Velo. Nabil zeigte uns fast alle Winkel der Stadt.

Am Abend sassen wir jeweils mehrere Stunden bei George im Laden und philosophierten über Religionen und das Weltgeschehen. Nachdem unsere Zelte repariert waren verliessen wir nur sehr ungern diese tolle Stadt und unsere beiden Freunde.

Der Verkehr nahm auf dem weiteren Weg ziemlich zu. Diese Route dient als Hauptverbindung zwischen Port Sudan (dem einzigen Hafen des Landes am Roten Meer) und dem Rest des Landes. Einen Vorteil hatte das Ganze jedoch: fast in jeder Ortschaft gibt es Restaurants. Die Ernährung war somit gesichert. Da die Temperaturen tagsüber auf fast 44° Grad kletterten, legten wir meistens eine Siesta ein um Fool und Omelette zu essen und bei einem Schai (Tee) uns zu erholen.

Will man die Menschen des Sudans näher kennen lernen, muss man sich nur in eine Cafeteria setzen und sich mit den Leuten unterhalten. Jeden Tag hatten wir sehr interessante Gespräche mit den Leuten dort und wurden jedes Mal zum Tee eingeladen. Nie mussten wir dafür bezahlen. Diese Cafeterias sind immer von Frauen geführt. Langsam ist unser Arabisch so gut, dass wir uns relativ gut mit ihnen unterhalten können.

Wie schon so oft auf meinen Reisen musste ich mal wieder feststellen, dass die Arabische Gastfreundschaft einfach unschlagbar ist. Sudan ist mir in der kurzen Zeit definitiv ans Herz gewachsen. Nur im Iran, in Jordanien und der Türkei habe ich bis anhin eine ähnliche Situation erlebt. Die Leute am Strassenrand streckten sofort den Daumen in die Höhe, wenn sie uns sahen. Am Abend tat mir meistens der Arm weh vom vielen winken. Schade, dass das Sudan Visa nur einen Monat gültig ist. Ich wäre gerne noch länger geblieben.

Nur ein einziges negatives Erlebnis hatten wir. In Wad Madani führte eine Brücke über den Blauen Nil. Dies sollte das letzte Mal sein, dass wir den Blauen Nil nochmals zu Gesicht bekommen im Sudan. Erst am Tanasee in Äthiopien würden wir ihn wieder sehen. Oben auf der Brücke machten wir ein paar Fotos. Plötzlich erschien ein Polizist und wollte unsere Kameras beschlagnahmen. In Khartoum herrscht ein generelles Fotoverbot. Das dies jedoch auch hier nicht erlaubt ist, konnten wir nicht ahnen. Nach längerem Gespräch löschten wir die Bilder und bekamen die Kameras zurück. Ein Foto vom Fluss zu machen ist schon eine schlimme Sache!

Die Landschaft veränderte sich zusehends. In der Gegend um Gedaref wird in ganz grossem Stil Landwirtschaft betrieben. Über hunderte von Kilometern fährt man an riesigen Feldern vorbei. Die Region um die Stadt gehört zu den fruchtbarsten Sudans, so dass Sesam, Sorghum, Erdnüsse, Gummi arabicum und Sonnenblumen sowohl für den lokalen Bedarf als auch für den Export angebaut werden.

Für die landwirtschaftliche Produktion ist keine künstliche Bewässerung nötig, da aufgrund der Nähe des äthiopischen Hochlandes ausreichend Niederschlag fällt. Auch wurde seit 1954 die Mechanisierung der Landwirtschaft vorangetrieben, so dass die hohe Produktivität, neben der guten Infrastruktur, Investoren anzieht und die Region als Kornkammer Sudans gilt.

Besonders die voll beladenen Transporter beeindruckten mich. Jetzt weiss ich auch, wieso es in diesem Land keine Brücken und Tunnels gibt. Da würde kein einziges sudanesisches Fahrzeug durchlassen.

Neben dem Verkehr setzte uns der Wind auf der Strecke von Wad Madani nach Gedaref gehörig zu. Zum ersten Mal im Sudan hatten wir keinen Rückenwind mehr. Diesmal bekamen wir die volle Ladung von der Seite ab. Wenn dann noch ein Bus oder Lastwagen in vollem Tempo an einem vorbei fährt, fühlt sich das ganze an wie ein Faustschlag. Jedoch ging die Wüstenlandschaft hier auch langsam in Steppe über. Immer öfter tauchten Bäume und Büsche auf. Eine herrliche Abwechslung nach all den Wüstenlandschaften in Jordanien, Ägypten und im Nord Sudan. Den schönsten Zeltplatz auf der Strecke fanden wir kurz nach Gedaref direkt unterhalb eines mächtigen Affenbrotbaumes (Baobab).

Aufgrund seines Aussehens ranken sich mehrere Legenden um den Affenbrotbaum. Nach einer in Afrika weit verbreiteten Vorstellung riss der Teufel den Baum aus und steckte ihn anschließend mit den Zweigen zuerst in den Boden, so dass die Wurzeln nun in die Luft ragen. Einer anderen Erzählung zufolge wollte der Baum bei seiner Entstehung schöner als alle anderen Bäume werden. Als ihm dies jedoch nicht gelang, steckte er seinen Kopf in die Erde und das Wurzelwerk ragte gegen den Himmel.

Die dritte Version gefällt mir fast am besten: Als am Anbeginn der Welt die Hyäne beim ersten Blick ins spiegelnde Wasser ihre eigene Hässlichkeit erkannte, war sie darüber sehr erzürnt. Sie riss einen Baobab aus und schleuderte ihn gen Himmel, um ihren Schöpfer zu treffen, der ihr dies angetan hatte. Der Baum jedoch verfehlte sein Ziel, stürzte zurück zur Erde, blieb dort umgekehrt im Boden stecken und wächst seither mit den Wurzeln nach oben. Als Sitz von Göttern und Geistern spielt er außerdem in einer Reihe weiterer afrikanischer Legenden und Sagen eine Rolle.

Auch die Häuser sind hier nicht mehr quadratisch gebaut mit Flachdach, wie man das von der Türkei bis in den Sudan sieht, sondern rund mit Strohdach. Zum ersten Mal hatte ich so richtig das Gefühl in Afrika anzukommen. Jetzt fehlen bloss noch die Elefanten, Löwen und Giraffen. In der Ferne rückten immer mehr die Berge in Sichtweite. Ein Zeichen, dass wir nicht mehr weit von der Grenze entfernt waren. Aber auch nach Eritrea ist es bloss ein Katzensprung von hier aus.

Von Äthiopien habe ich bislang nicht viel gutes gehört, was das Velofahren betrifft. Besonders die Steine werfenden Kinder sollen nicht gerade freundlich sein. Deshalb blickte ich ein bisschen wehmütig zurück auf die Zeit hier im Sudan.

Sämtlichen Menschen, die uns hier begegnet sind haben uns mit offenen Armen empfangen. 1’400 Kilometer legten wir in den letzten 30 Tagen zurück. Noch selten habe ich mich so wohl gefühlt in einem Land wie hier. Die Situation ist für die meistens Menschen momentan gar nicht einfach. Trotzdem strahlen sie eine enorme Lebensfreude aus.

Sudan steht eine schwierige Zukunft bevor. Hoffentlich findet sich ein Weg. Ich wünsche es den Menschen des Sudans von ganzem Herzen und möchte mich bei der BAND OF BROTHERS und allen Menschen, die uns unterwegs begegnet sind vielmals bedanken.