Gegensturm

Gegensturm


Die ersten 100 Kilometer in Südafrika wurden wir noch ein letztes Mal von Hannie und Karl verwöhnt. Sie transportierten uns mit ihrem Bus von Oranjemund über die Grenze bis nach Port Nolloth. Dadurch blieb uns die Kontrolle am Zoll erspart und ohne grosse Umstände bekamen wir ein 3 Monate gültiges Visa. Am Schluss organisierten sie uns sogar noch einen Zeltplatz, wo wir die Nacht sicher verbringen konnten. Der Abschied von den beiden fiel uns nicht leicht.

Ursprünglich wollten wir von Port Nolloth aus nach Steinkopf auf die N7 radeln um die Cederberge zu besuchen. Die Leute in Oranjemund hatten uns jedoch davon abgeraten. Jetzt im Hochsommer wüten dort regelmässig Waldbrände und mit der Hitze sei nicht zu spassen. Ein Freund von Karl, Riaan (der ebenfalls Radfahrer ist und sich sehr gut in der Gegend auskennt), empfahl uns der Westküste entlang zu fahren. Er konnte uns Wege zeigen, die nicht einmal auf der Karte eingezeichnet sind. So konnten wir auch die verkehrsreichen Hauptstrassen umfahren. Einige Abschnitte waren oftmals ziemlich sandig. Doch langsam haben wir ziemlich Erfahrung im Schieben.

Bereits am zweiten Tag, kurz vor Hondeklip Bay, hielt ein Jeep neben uns. Susan und Eugene kommen von der Ostküste und reisen momentan mit ihren Mountain Bikes und einem Geländewagen inklusive Anhänger der Westküste entlang. Sie luden uns gleich zum Nachtessen ein und zahlten für uns 2 Nächte in einem grossen Zelt auf dem Campingplatz. Zudem verabredeten wir uns am darauf folgenden Tag. Sie machten ein paar Einkäufe in Garies und kamen uns danach entgegen. Für die kommenden Tage organisierten sie jeweils immer die Unterkünfte für uns. Da sie Afrikaans sprechen war das sehr hilfreich für uns und wir durften oftmals unser Gepäck bei ihnen im Anhänger transportieren. Ein wahrer Luxus!

Das Gebiet hier gehört zum Namqualand. Es ist zusammen mit dem nördlich liegenden, namibischen Great Namaqualand Hauptsiedlungsgebiet der Nama, eines der ersten im südlichen Afrika ansässigen, aus Zentralafrika zugewanderten Volksstammes. Die Menschen hier sind für ihre direkte und fröhliche Lebensart bekannt. Jetzt im Sommer ist die Landschaft an der Westküste ziemlich trocken. Im Winter jedoch verändert sich alles. Eine der Hauptattraktionen des Namaqualands ist die jährlich Ende August/Anfang September stattfindende Wüstenblüte: Entsprechende Temperaturen und Regen vorausgesetzt, entfaltet sich hier binnen weniger Tage aus dem scheinbar leblosen Wüstenboden eine millionenfache Blütenpracht.

Der grösste Feind für uns (vor dem uns die Einheimischen gewarnt hatten) ist der Wind, welcher um diese Jahreszeit weht. Immer um die Mittagszeit herum setzte ein Gegenwind ein, der sich zu einem richtigen Sturm entwickelte. Mit voll beladenem Velo eine echt harte Herausforderung! Aber wie sagt man so schön: Gegenwind formt den Charakter und ist der Wind zu stark, bist du zu Schwach. Man muss den Wind einfach ignorieren. Dies ist die einzige Möglichkeit bei dieser Tortur den Verstand nicht zu verlieren.

Zwischen Groensriviersmond und Brand se Baai machte ich einen entscheidenden Fehler: Susan und Eugene boten uns eine Mitfahrgelegenheit für die etwa 60 Kilometer lange Sandstrecke am Atlantik entlang an. Offiziell ist diese nur mit einem Geländewagen zu bewältigen. Tania nahm das Angebot gerne an. Mein Wille war jedoch zu stark um in ein Fahrzeug zu steigen. So schob und zog ich Dusty (mein Velo) mit all meinen Kräften einen ganzen Tag lang durch tiefen Sand.

Die ganze Aktion endete damit, dass Tania mich mit der Besitzerin einer Farm (wo wir übernachten durften) am Abend retten mussten. Nicht einmal 30 Kilometer hatte ich an diesem Tag geschafft! Sie kamen mir mit einem Geländewagen entgegen und luden mich auf. Am nächsten Tag ging es dann über Lutzville langsam in eine andere Landschaft über. Von hier aus in Richtung Süden wird im grossen Still Wein angebaut. Der südafrikanische Pinotage ist eines der bekanntesten Exportgüter des Landes. Pinotage ist eine Rotweinsorte, die durch Kreuzung von Cinsault und Spätburgunder (Pinot Noir) entstanden ist.

Von Doringbaai aus folgten wir fortan der Railway Service Road via Lamberts Bay bis nach Saldanha. Die Bahnstrecke Sishen–Saldanha ist eine 861 Kilometer lange, eingleisige, elektrifizierte Bahnstrecke. Auf ihr verkehren schwere Güterzüge. 1989 fand die Rekordfahrt eines Zuges aus neun E-Loks, sieben Diesellokomotiven und 660 beladenen Wagen statt. Der Zug war 7303 Meter lang und wog 71.210 Tonnen. Im Durchschnitt ist ein Zug etwa 3 Kilometer lang und wird von 4 bis 6 E-Loks angetrieben. Ein ziemlich eindrückliches Schauspiel. Bis 2008 wurden 600 Millionen Tonnen Erz transportiert.

Ein grosses Problem in Südafrika ist die Sicherheit. Meistens mussten wir in Gästehäusern übernachten. Die Gemeinden stellen zwar Zeltplätze zur Verfügung, diese sind jedoch oftmals in sehr schlechtem Zustand und nicht sicher. Fast alles hier in Südafrika ist eingezäunt und mit hohen Mauern umgeben. Man fühlt sich wie in einem Hochsicherheitsgefängnis. Niemand vertraut dem Anderen.

Gegen den amtierenden Präsidenten, Jacob Zuma, sind bereits schon mehrere Korruptions- und Vergewaltigungsvorwürfe erhoben worden. Den letzten Teil unserer gemeinsamen Reise fuhren wir durch den West Coast National Park und bekamen dabei unsere ersten Kudus zu sehen. Die Tiere erreichen eine Kopf-Rumpf-Länge von 193 bis 248 cm und eine Schulterhöhe von 121 bis 157 cm. Männliche Tiere werden zwischen 249 und 344 kg schwer und sind damit bis zu 150 % größer als weibliche, die 160 bis 210 kg wiegen.

In Durbanville besuchten wir Ansie und ihre Familie. Wir hatten uns bei der Neujahrsfeier in Swakopmund kennen gelernt. Wie bereits zuvor an anderen Orten auf dieser Reise, wurden wir auch von ihnen mit allen Regeln der Kunst verwöhnt. Am Schluss transportierten sie unsere Velos mitsamt Gepäck in ihrem Geländewagen bis nach Kapstadt hinein. Die weissen Südafrikaner sind neben den Sudanern die gastfreundlichsten Menschen, die ich in Afrika getroffen habe!

Kapstadt gefiel mir gleich auf Anhieb. Man fühlt sich wie in einer westlichen Metropole. Nach fast 2 Jahren in Afrika genoss ich diese moderne und gepflegte Stadt sehr. Seit längerer Zeit habe ich gemerkt, dass ich mein Afrika Abenteuer beenden muss. Ursprünglich wollte ich eigentlich den ganzen Kontinent umradeln. Hier in Kapstadt wäre also genau die Halbzeit gewesen.

Die ewige Monotonie und die Menschen in Afrika kann ich jedoch nicht mehr länger ertragen. Schon viel zu lange fühle ich mich nicht mehr wohl und entschloss mich deshalb einen Schlussstrich unter dieses Kapitel zu ziehen. Jedoch möchte ich auch nicht nach Hause gehen. Deshalb musste ich mir erst einmal einen Plan zusammen stellen. Die ersten Tage besuchte ich deshalb mehrere Botschaften und Konsulate um ein paar Ideen für meine Weiterreise zu bekommen.

Zusammen mit Tania radelte ich nach ein paar Tagen zum Kap der guten Hoffnung um meinen Kopf ein wenig auszulüften. Im April 1488 wurde das Kap vom portugiesischen Seefahrer und Entdecker Bartolomeu Diaz erstmals von einem Europäer gesichtet, als er bereits die Südspitze Afrikas umrundet hatte und sich auf dem Rückweg nach Norden befand. Mit der Eröffnung des Sueskanals (in Ägypten) im November 1869 verlor die Route um die Südspitze Afrikas schlagartig an Bedeutung.

Einen Tag später besuchte mich meine Familie. Meine Schwester habe ich seit fast 2 Jahren nicht mehr gesehen. Mit ihnen zusammen unternahmen wir viele Ausflüge. Tania verliess uns nach ein paar Tagen und flog wieder zurück in die Schweiz. Zudem traf ich noch einige Freunde, die ich auf meiner Reise durch Afrika kennen gelernt hatte und die teilweise in Kapstadt leben. Durch sie bekam ich auch noch eine andere Sichtweise von dem Land vermittelt. Südafrika gehört zu einem der wirtschaftlich stärksten Länder in ganz Afrika. Mich erstaunte, dass teilweise gerade die jungen Menschen hier sehr positiv in die Zukunft blicken. Hoffentlich erfüllen sich ihre Träume für ein besseres Südafrika.

Ganz praktisch fanden wir die Sightseeing Busse. Man kann nach Lust und Laune von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten fahren. Rund um Kapstadt gibt es einige sehr schöne Dinge zu entdecken. Berühmt ist Kapstadt unter anderem durch sein Wahrzeichen, den Tafelberg. Er gehört zu den sieben Weltwunder der Natur. Das Gebiet von Kapstadt war ursprünglich von den San und Khoikhoi besiedelt. Im Jahre 1652 ging der Niederländer Jan van Riebeeck in der Tafelbucht an Land und gründete dort eine Versorgungsstation für die Handelsschiffe der Niederländischen Ostindien-Kompanie auf ihrer Route nach Indien.

Uns gefiel der Botanische Garten Kirstenbosch am südlichen Fuß des Tafelbergs sehr gut. Dieser wurde der Stadt im Jahr 1902 von Cecil Rhodes geschenkt. Das Gelände wurde 1914 zum Botanischen Garten gemacht, um die einmalige Flora unter Schutz zu stellen, und war der erste geschützte Garten dieser Art in Südafrika.

Ein weiteres Problem hatte sich bei meinem Velo eingeschlichen: Meine Pinion Schaltung fing immer häufiger an zu knacksen. In Absprache mit dem Veloladen Leuthold entschlossen wir uns diese auszutauschen. Dank der schnellen und kompetenten Organisation vom Veloladen Leuthold konnte mir meine Mutter die neue Schaltung mitbringen. Erneut ein grosses Dankeschön an das ganze Team. Ihr seit spitze!

Nach 10 Tagen musste ich mich wieder von meiner Familie verabschieden. Vielen herzlichen Dank für euren Besuch! Einen Entschluss hatte ich zu diesem Zeitpunkt bereits gemacht und nun weiss ich auch, wo meine Reise weiter gehen wird. Mit Tommy und Wesley fuhr ich zwei Tage vor meinem Abflug noch nach Stellenbosch. Die Stellenbosch-Gemeinde ist bekannt für den Export von hochwertigem Wein, der aus über 120 Weingütern kommt. Wir tranken jedoch nur Bier an diesem Tag (immerhin lokales Bier!). Tommy und Wesley haben beide hier an der Universität eine Zeit lang studiert und zeigten mir noch ein wenig die wunderschöne Stadt. Dies war genau der richtige Abschluss meiner Zeit in Afrika. Mit dem MyCiti Bus ging es am nächsten Tag zum Flughafen.

Südafrika ist für mich ein Land von Kontrasten. Die Gastfreundschaft der weissen Bevölkerung ist wirklich fantastisch (kein einziges Mal hat uns ein schwarzer oder farbiger Südafrikaner eingeladen) und ich möchte mich bei allen Menschen ganz herzlich bedanken, die uns mit offenen Armen aufgenommen haben. Baie baie dankie! Man kann nicht alles immer auf die Schiene des Rassismus schieben. Eine Trennung nach Hautfarbe, wie es die ANC (African National Congress) seit dem Ende der Apartheid verfolgt (BBBEE, Broad-Based Black Economic Empowerment) ist aus meiner Sicht der falsche Ansatz. Dieses Land hat sehr viel Potenzial. Beim Abflug erinnerte ich mich an ein Zitat von Jimi Hendrix:

„Wenn die Macht der Liebe die Liebe zur Macht überwindet, erst dann wird es Frieden geben.“