In eisigen Höhen

In eisigen Höhen


Indien ist laut, chaotisch, vielfältig, schmutzig und hat den schlimmsten Verkehr der Welt. So wurde mir dieses Land bisher von anderen Reisenden beschrieben. Bereits nach ein paar wenigen Stunden in Indien konnte ich diese Aussage nur bestätigen. Velofahrer sind nicht sehr geachtet in der Verkehrs Hierarchie. Am besten bleibt man immer schön in der Nähe des Strassengrabens. Mein erstes Ziel In Indien war Rishikesh.

Das am Fuße des Himalaya gelegene Rishikesh ist eine bekannte Pilgerstadt. Durch Rishikesh fließt der Ganges. Der Ganges verlässt hier den Himalaya und fließt dann weiter durch die Ebenen Nordindiens bis zum Golf von Bengalen. Während der 1960er Jahre besuchten die Beatles und mehrere andere Musiker wie Mike Love von den Beach Boys und Donovan den Ort, um zu meditieren. Da ich mit Yoga und Meditation nicht so viel am Hut habe, nutzte ich die Zeit hier um mich auf die Berge im Himalaya vorzubereiten.

Schon nach wenigen Kilometer ging es in die Berge hinein. Dabei wurde ich vom ersten Monsum Regen überrascht. In einem stillgelegten Steinbruch fand ich einen Zeltplatz. Mitten in der Nacht erwachte ich, weil etwas auf mein Gesicht drückte. Der Sturm hatte das Zelt zur Hälfte eingedrückt und Wasser drang ins Innenzelt. Ich musste mit meinem ganzen Körpergewicht dagegen drücken.

Am nächsten Tag wurde zum Glück das Wetter besser und meine Reise durch die Berge konnte beginnen. Schon nach wenigen Tagen erreichte ich das Kinnaur Tal. Kinnaur liegt durchweg hoch, zwischen über 1200 Meter auf Höhe der Talsohlen und mit Berggipfeln über 6000 Metern. Einer der höchsten Berge ist der Hindus und Buddhisten heilige Kinnaur Kailash (6050 Meter). Kulturell und ethnologisch stellt die Region eine Mischung aus tibetischen und indo-arischen Einflüssen dar. Mir gefielen besonders die hölzernen Hindu Tempeln in den einzelnen Dörfern besonders gut.

Berüchtigt ist das Tal aber auch für seine gefährlichen Strassen. Verglichen mit den Alpen in Europa herrschen hier ganz andere Dimensionen. Gerade im Frühling, wenn der Schnee und das Eis schmilzt geraten viele Hänge in Bewegung. Kurz vor der Ortschaft Pooh war die Strasse wegen einem Steinschlag gesperrt. Nachdem ein Bulldozer die Strasse frei geräumt hatte fuhren die ersten Fahrzeuge durch. Ich unterhielt mich gerade mit ein paar Soldaten, welche die Strecke überwachen, als plötzlich ein lautes „Go Go Go!“ ertönte und alle anfingen zu rennen. Aus meinem Augenwinkel sah ich bloss noch eine Lawine von Steinen, so gross wie Waschmaschinen, den Hang runter kommen. Danach fing auch ich an zu rennen. Wer schon einmal einen richtigen Steinschlag aus nächster Nähe erlebt hat, weiss wie sich das anfühlt. Mein Adrenalinspiegel für diesen Tag war danach gesättigt.

Anschliessend ging es zum ersten Mal auf über 4’000 m.ü.M. in die Ortschaft Nacko hoch. Für diesen Teil der Strecke benötigen Ausländer ein sogenanntes , da Indien hier auf das besetzte (von der Volksrepublik China) Tibet stösst. Dieses Permit hatte ich in Reckong Peo beantragt. Der Beamte fragte mich beim ausfüllen der Formulare, ob ich mein Velo mit Gepäck tragen kann. Ein Felsabbruch hatte vor ein paar Tagen oberhalb von Nacko etwa 50 Meter der Strasse weg gerissen. Nur Velos und Motorräder konnten den Abschnitt zu Fuss bewältigen.

Danach war für mich der Weg frei nach Spiti. Das Tal ist stark von einer buddhistischen Kultur ähnlich der in Tibet und Ladakh geprägt. Das Tal und seine Umgebung sind eine der am dünnsten besiedelten Regionen Indiens. Spiti ist heute, dank seiner Zugehörigkeit zur Indischen Union, eine der wenigen Regionen einer autochthonen tibetisch-buddhistischen Kultur.

Im Vergleich zum restlichen Indien ist hier vieles ganz anders. Nach 12 Tagen non- stop im Sattel genehmigte ich mir in Tabo zwei Ruhetage. Wegen dem Felsabbruch und den immer noch kalten Temperaturen waren kaum Reisende unterwegs. Was ich sehr genoss. Zwar gab es kein fliessendes Wasser und nur Solar Strom in der Unterkunft, aber immer noch besser als ein Zeltplatz in Afrika.

Der Tempelkomplex in Tabo gehört zu den wichtigsten tibetisch-buddhistischen Klöstern weltweit. Er wurde 996 von Rinchen Zangpo gegründet, und einige der neun Tempelanlagen sind noch im ursprünglichen indo-tibetischen Stil erhalten. Der gegenwärtige Dalai Lama betrachtet Spiti als eine seiner Heimatregionen. Besonders die Wandmalereien im Innern der einzelnen Tempeln sind beeindruckend. Leider war fotografieren nicht erlaubt.

Im Kloster von Tabo hatten mir die Mönche eine Liste mit Karte von allen bedeutenden Klosteranlagen in Spiti gezeigt. So radelte ich von Tabo aus zuerst in Richtung Dhankar. An der Abzweigung hoch ins Dorf stoppten mich ein paar Leute. Ein Muurgang hatte sich ereignet und die Strasse war auf einer Länge von 80 Metern nicht passierbar. Für Dusty (mein Velo) und mich jedoch kein Problem. Mit Velo und Gepäck tragen hatte ich mittlerweile genug Erfahrung gesammelt. Das alte Kloster von Dhankar war schon von weitem sichtbar. Dhankar war die traditionelle Hauptstadt des Spiti Tals, von den Briten, während des 17. Jahrhunderts. Es war der Sitz des frühen Herrschers Spiti, der Nonos.

Das neue Kloster hatte momentan leider keine Zimmer zur Verfügung , weil alles vorbereitet wird für den Besuch des Dalai Lamas Mitte Mai. Deshalb stellte ich mein Zelt etwas ausserhalb des Dorfes auf. Hier im Spiti Tal kann man zelten wo man will. Im restlichen Indien ist dies oftmals fast unmöglich. Am nächsten Tag machte ich noch ein paar Fotos vom Dorf und fuhr danach weiter in Richtung Kaza.

Von Kaza aus ging es weiter zum nächsten Kloster in Ki. Die Klöster liegen meistens auf einer Anhöhe. Das bedeutet immer wieder steile Steigungen hoch zu radeln. Wenn man sich dabei permanent über 3’500 m.ü.M. befindet ist dies nicht so einfach. Die Lungen müssen sich erst einmal an die dünne Luft gewöhnen. Dafür wurde ich aber meistens mit einer tollen Aussicht belohnt.

Ki Gompa ist ein tibetisch-buddhistisches Kloster, das sich auf einem Berg auf 4.166 Meter über dem Meeresspiegel befindet. Es ist das größte Kloster des Spiti-Tals und ein religiöses Bildungszentrum für Lamas. In den 1840er Jahren wurde es durch ein Feuer verwüstet und 1975 verursachte ein starkes Erdbeben Schäden. Die Tausendjahrfeier wurde im Jahr 2000 in Gegenwart des Dalai Lama (Tendzin Gyatsho) gefeiert.

Etwas oberhalb vom Ki Kloster liegt das Dorf Kibber. Kibber liegt in einem engen Tal, auf dem Gipfel eines Kalkfelsen (4270 m.ü.M.). Das Dorf ist eines der höchstgelegenen Dörfer in der Welt.

Dort machte ich den Fehler einen Nacht in einem Homestay zu verbringen. Die Inder haben echt null Ahnung von Hygiene und Sauberkeit. Ich war richtig froh am nächsten Tag wieder in meinem Zelt schlafen zu können auch wenn die Temperaturen in der Nacht unter Null Grad gingen.

Die Inder sind fast ähnlich wie die Afrikaner. Sie können einem riesige Geschichten erzählen und man weiss nie ob sie einem die Wahrheit erzählen. Vom Spiti Tal aus muss man über den Kunzum La Pass (4’590 m.ü.M.) um nach Lahaul zu gelangen. Ich bekam ganz unterschiedliche Informationen ob der Pass geöffnet ist oder nicht. Deshalb wollte ich selber versuchen möglichst weit das Spiti Tal hoch zu fahren.

Genau an meinem 33. Geburtstag schaffte ich es nach Losar. Die Nacht zuvor wurde ich von einem Schneesturm überrascht und auch in Losar schneite es verrückt. Im ganzen Spiti Tal gibt es enorm viele Unterkünfte für Touristen. Im Hochsommer muss ein richtiger Massentourismus hier herrschen. Jedoch waren alle Unterkünfte geschlossen als ich dort ankam. So verbrachte ich meinen Geburtstag frierend in meinem Zelt bei treibendem Schneesturm und zerbrach mir den Kopf, wie die Reise weiter gehen sollte…