Lebensfarben

Lebensfarben


Das Griechenland anders ist als die balkanischen Länder merkten wir schon kurz nach der Grenze. Auf der Hauptstrasse herrschte ziemlich viel Verkehr, weshalb wir versuchten auf kleinere Strassen auszuweichen. Auf den Feldern fahren hier top moderne Traktoren herum. Selbst in der Schweiz können viele Bauern nur davon träumen eine solche Maschine zu besitzen. Überall sieht man auch grosse Photovoltaik Anlagen, die aber allesamt nicht mehr in Betrieb sind. Man hat vermutlich vergessen den Griechen zu erklären, dass man die Anlagen auch pflegen und unterhalten muss.

Beim ersten Einkauf in einem kleinen Dorf schenkt uns der Ladenbesitzer gleich Früchte und Wasser. Das sollte leider das letzte Mal gewesen sein, dass wir in Griechenland zu irgend etwas eingeladen wurden.

Die Fahrt durch das ländliche Gebiet bis nach Thessaloniki führt uns über viele Feldwege. Es macht richtig spass durch die vielen Wasserlöcher zu fahren. Wir machen daraus einen kleinen Wettkampf. Wer stecken bleibt bezahlt den nächsten Kaffee.

In Thessaloniki sehe ich zum ersten Mal auf meiner Reise das Meer. Am Hafen, der zweitgrösste des Landes, erfahren wir dass keine Passagierfähren von hier aus verkehren. Der nächste Hafen mit Verbindungen liegt im über 100km entfernten Kavala. So steigen wir nochmals auf unsere Stahlpferde und radeln in 3 Tagen dorthin.

Einen Schlafplatz zu finden ist in diesem Land überhaupt kein Problem. Am zweiten Abend treffen wir Judith und Joshua. Sie sind mit ihrem Velo unterwegs nach Asien. Mit ihnen zusammen legen wir uns mit unseren Schlafsäcken direkt an den Strand. Sternenhimmel und Meer rauschen zum einschlafen. Was will man mehr?

Auf der ganzen bisherigen Reise bin ich noch nie mit Flüchtlingen in Kontakt gekommen. Andere Reisende haben mir nur immer wieder von Begegnungen berichtet. Am Hafen von Kavala, als unsere Fähre eintrifft, ändert sich das schlagartig. Die meisten Passagiere, die das Schiff verlassen sind Flüchtlinge. Die Szene wirkt völlig paradox. Zwischen Wohnmobilen, Lastwagen und schwer bepackten Touristen laufen Familien mit Kindern und junge Männer durch denen man bloss in die Augen schauen muss um zu begreifen, was sie schon alles erlebt haben. Dies ist jedoch nur ein kleiner Teil von Flüchtlingen, die uns hier begegnen.

Bei der Ankunft in Mytilini auf der Insel Lesbos denke ich zuerst an einem Openair Festival teil zu nehmen. Der ganze Hafen ist überfüllt mit Zelten. Selbst auf der Strasse stehen welche. Jedoch gibt es hier anscheinend überhaupt keine sanitären Einrichtungen. Es stinkt bestialisch nach Urin.

Unsere nächste Fähre nach Athen legt erst in 2 Tagen ab. So entscheiden wir uns ein wenig die Insel zu befahren. Ausserhalb der Stadt sind plötzlich keine Flüchtlinge mehr zu sehen. Auch Touristen sieht man kaum noch. Wir geniessen einen erholsamen Tag in einem kleinen Ort direkt am Meer. Einen Besuch der Festung von Mytilini können wir uns nicht entgehen lassen. Vermutlich im 6. Jahrhundert n. Chr. während der Herrschaft Justinian I. wurde die Festung über den Resten einer antiken Akropolis auf der ehemaligen Insel Kioski (Κιόσκι) errichtet. Nach einer 27-tägigen Belagerung wurde die Festung durch Verrat im September 1462 von den Osmanen erobert.

Nach einer nächtlichen Überfahrt kommen wir dann schlussendlich in Piräus, dem Hafen von Athen, an. Gleich neben unserer Jugendherberge können wir unsere Wäsche in einem Waschsalon reinigen lassen. Der Besitzer ist ein Pakistaner. Wir fragen ihn wie er mit der momentanen Situation hier in Griechenland zurecht kommt. „Das sind die Farben des Lebens“ antwortet er uns. Er ist sich sicher, dass irgendwie alles wieder besser wird. Wenn die Griechen bloss auch so denken würden. Hilfsbereitschaft scheint hier ein Fremdwort zu sein. Tania muss am nächsten Tag ihren Rückflug in die Schweiz und den Transport von ihrem Velo am Flughafen organisieren. Ich versuche zur gleichen Zeit am Hafen eine Fährverbindung nach Israel zu finden. Wir kommen beide ziemlich resigniert am Abend in die Jugendherberge zurück. Niemand scheint hier Kompetenz für irgend etwas zu besitzen. Tania hat, genau wie ich, die gleiche Erfahrung gemacht. Sobald man eine Auskunft braucht antworten die Leute ganz einfach mit „I don’t know“. Kein Wunder herrscht hier Wirtschaftskrise!

Wenigstens kriege ich auf der jordanischen Botschaft innerhalb kürzester Zeit ein 3 Monate Visa und auf der israelischen Botschaft wird mir versichert, dass ich kein Visa benötige. Nach einigen Internet Recherchen wurde mir klar, dass es von Griechenland aus keine Schiff Verbindungen nach Osten gibt. Selbst Zypern ist nicht erreichbar.

Wir beschlossen unseren letzten gemeinsamen Tag mit einer Stadtbesichtigung zu geniessen. Athen ist die bevölkerungsreichste und flächengrößte Stadt des Landes. Sie wurde vor etwa 5000 Jahren besiedelt. Natürlich starteten wir bei der Akropolis. Den ältesten Teil der Stadt Athen ließ Perikles nach der Zerstörung durch die Perser unter Leitung des berühmten Bildhauers Phidias von den Architekten Iktinos und Kallikrates sowie Mnesikles neu bebauen.

Auf einem flachen, 156 Meter hohen Felsen stehen die zwischen 467 v. Chr. und 406 v. Chr. erbauten Propyläen, das Erechtheion, der Niketempel und der Parthenon-Tempel, in dem eine Statue der Göttin Athene stand. Danach folgten einige weitere sehr eindrückliche Denkmäler. Am besten gefiel mir die Aussicht vom Lykabettus, dem Stadtberg von Athen. Bei 40° Grad den Hügel hoch zu steigen war zwar hart, dafür wird man oben mit einer tollen Aussicht belohnt.

Bei guten Sichtverhältnissen lässt sich von hier aus der ganze Großraum Athen und seine Kessellage zwischen Gebirgszügen und dem Saronischen Golf im Süden überblicken. Nach diesem Tag wurde es Zeit mich von Tania zu verabschieden. Vielen Dank Tania für deinen Besuch!

Für mich gab es nur eine Möglichkeit weiter nach Osten zu kommen: Mit der Fähre via Rhodos nach Fethiye in der Türkei. Eigentlich macht für mich solche Situationen genau das Reisen aus. Man muss immer wieder neue Alternativen entwickeln. Auf Rhodos wartete ich noch einen zusätzlichen Tag, weil die nächste Fähre nach Fethiye erst einen Tag nach meiner Ankunft weiter fuhr. Ich hätte keinen Tag länger bleiben wollen auf dieser Insel. Die Strände sind zugepflastert mit Hotelkomplexen und Sonnenschirmen. Kein Ort für Individualreisende wie mich.

Ich war ziemlich froh Griechenland verlassen zu können. Das Land und seine Menschen machten auf mich einen ziemlich resignierten Eindruck. Zudem bin ich sehr allergisch auf Massentourimus. Irgendwie gelang es mir nicht mich mit diesem Land anzufreunden. Eigentlich schade, denn es gäbe hier viele interessante Dinge zu entdecken.