Muzungu

Muzungu


Der Flug von Addis Abeba via Dschibuti nach Nairobi verlief ohne grössere Probleme. Selbst der 15 stündige Zwischenstopp am Flughafen von Dschibuti war ziemlich interessant. Die US Army unterhält hier ihren Stützpunkt für ihre Drohnenangriffe im Jemen und Somalia. Zudem ist hier ein ganzes Kontingent an europäischen Einheiten stationiert. Armeen aus Spanien, Frankreich und Deutschland konnten wir sehen, aber auch das Rote Kreuz, die UNO und viele weitere Organisationen. Ein permanentes kommen und gehen von Kampf- und Hilfsflugzeugen herrschte hier. Wir brauchten nur aufs Rollfeld zu schauen und hatten Unterhaltung pur.

Morgens um 6:00 Uhr landeten wir in Nairobi. Gleich beim Ausstieg wurde bei allen Einreissenden die Gelbfieber Impfung überprüft. Andy hatte seine Impfung 1984 gemacht. Die Behörde wollte dies nicht akzeptieren, obwohl eine solche Impfung ein Leben lang gültig ist. Andy meinte, ich solle schon mal vor gehen und er würde dann nachkommen. Die Zollabfertigung ging sehr zügig voran und schon nach kurzer Zeit konnte ich mein Velo entgegen nehmen. Nachdem ich alles wieder zusammen gebaut hatte war Andy noch immer nicht aufgetaucht. Langsam wurde es ganz schön heiss und ich wollte unbedingt die 15km entfernte Unterkunft vor der grossen Hitze erreichen. Deshalb fuhr ich schon mal los.

Linksverkehr herrscht hier in Kenia. Teilweise wurde ich und mein Traktor auf den Strassen ziemlich eingestaubt. Die rötliche Erde sieht fast schon aus wie rostendes Metall. Mir kam dabei endlich ein Name in den Sinn für mein Velo. Ich entschloss es “Dusty“ zu taufen.

In der Jungle Junction fand ich meine Oase nach all dem Stress in Äthiopien. Chris, der Besitzer, leitet diesen Overlander Treff schon seit 1999. Er ist damals, nach längerer Reise von Deutschland durch Nordafrika, hier angekommen und hat dabei seine Frau Diana kennen gelernt. Beruflich arbeitet er als Mechaniker und führt hier eine eigene Werkstatt. Zwischen Südafrika und Europa ist dieser Ort unter Overlander-, Motorrad- und Velofahrern total bekannt. Wer mit dem eigenen Gefährt durch Afrika reist kommt einfach irgendwann hier vorbei. Während Chris und seine Crew die Fahrzeuge reparieren kann man hier entspannen oder auch sein Gefährt für längere Zeit einstellen.

Hier traf ich nochmals Marco, einer meiner Reisepartner durch den Sudan (Band of Brothers).

Schon am nächsten Tag fuhr er jedoch weiter. Ziemlich viele Leute kamen und gingen. Jeden Abend führten wir auf der Terrasse Diskussionen über das Reisen in Afrika. Zudem gibt es ganz in der Nähe ein richtig grosses Einkaufszentrum mit allen Sachen von denen ich in den letzen Monaten geträumt hatte und am Abend herrschte Ruhe. Keine Kirche, die die ganze Nacht hindurch Lärm veranstalten wie in Äthipoien üblich. Mir gefiel der Ort dermassen gut, dass ich entschied gleich länger zu bleiben. Letzten Endes wurden daraus 9 Wochen. Ein weiterer Faktor war die anbrechende Regenzeit, welche das ganze Land unter Wasser stellte.

Über Facebook kam ich mit Yashar in Kontakt. Wir trafen uns an meinem zweiten Tag in Nairobi. Yashar kommt aus Aserbaidschan, ist Journalist und radelt von seinem Heimatland aus nach Südafrika. Er möchte mit diesem Projekt auf die mangelnde Demokratie in Aserbaidschan aufmerksam machen. Im Sudan wollte ihm die äthiopische Botschaft kein Visa ausstellen. Deshalb entschloss er sich durch den Süd Sudan zu radeln.

Die Reise verlief bis 80 Kilometer vor der kenianischen Grenze ohne Zwischenfall. Jedoch wurde er dann von 4 Männern überfallen, die ihn mit Steinen fast zu Tode prügelten und sein Velo mit allen Taschen klauten. Nachdem er mehrere Stunden bewusstlos auf der Erde lag, erwachte er wieder und schaffte es auf die nächste Strasse. Dort griffen ihn bald Leute auf und brachten ihn ins Krankenhaus. Sein Unterarm sowie ein paar Rippen waren gebrochen und am Kopf hatte er eine grosse Platzwunde. Die Polizei fand bald die Diebe. Sein Velo und einige Taschen mit dem meisten Inhalt war noch vorhanden. Die Ärzte konnten ihn nicht operieren. Mit viel Organisation schaffte er es einen Transport nach Nairobi zu organisieren, wo er nach einem Monat endlich den gebrochenen Arm operieren konnte.

Viele Leute in Nairobi halfen ihm. Bei Daisy, einem Warmshower Kontakt, konnte er umsonst übernachten und in der Safari Simba (eine Velo Akademie, die von David Kinsha geleitet wird) wurde sein Velo repariert. Wir verbrachten viel Zeit zusammen bis er nach 4 Monaten endlich wieder in den Sattel steigen konnte um seine Weiterreise in Angriff zu nehmen. Yashar ist für mich ein Mensch, den ich wegen seines starken Willens tief bewundere.

Ende Mai lies der Regen langsam nach und für mich kam die Zeit weiter zu ziehen. Zuerst wollte ich durch das Gebiet der Kikuyus in Richtung Nyeri radeln.

Die Kikuyu sind eine bantusprachige ethnische Gruppe im ostafrikanischen Kenia, die etwa acht Millionen Menschen umfasst und etwa ein Viertel der Bevölkerung Kenias ausmacht. Im Vielvölkerstaat Kenia sind sie mit ca. 22 Prozent die größte Bevölkerungsgruppe. In den 1950er Jahren dominierten sie den Unabhängigkeitskampf gegen die britische Kolonialmacht und über viele Jahre hinweg große Bereiche in Wirtschaft und Politik des unabhängigen Kenias, was in den vergangenen Jahrzehnten des Öfteren zu Konflikten geführt hat.

Die 9 Monate des Nichtstun machten sich schnell bemerkbar. Kenia ist kein flaches Land. Strassenbau ist hier ziemlich simpel. Einfach gerade den Berg hoch und wieder runter. Ganz egal wie steil der Hang ist. Nach 4 Tagen erreichte ich Nyeri und konnte vor lauter Muskelkater kaum noch laufen. Die Steigungen waren oftmals dermassen steil, dass ich Dusty schieben musste (oder hat meine Kondition so arg nachgelassen?!).

Auch in Kenia gibt es überall Menschen. Im Vergleich zu Äthiopien sind sie jedoch um einiges angenehmer und sehr freundlich. Nur das ewige “Muzungu“ (Ausländer) Geschrei der Kinder geht einem mit der Zeit ein wenig auf die Nerven. Nach einer Weile registrierte ich es jedoch schon fast nicht mehr. Einen Zeltplatz zu finden war oft beinahe unmöglich. Deshalb fragte ich meistens bei den Schulen ob ich dort mein Zelt aufstellen darf, was nie ein Problem war. Einmal lud mich ein Lehrer sogar zu sich nach Hause ein und seine Frau verwöhnte uns mit Ugali, dem Nationalgericht. Fast ähnlich wie Polenta. Zudem sind alle hier sehr an meiner Reise interessiert und wollen viel über die Schweiz und Europa erfahren. Genau dies habe ich in Äthiopien so vermisst.

Nyeri besuchte ich aus einem einzigen Grund: Das Grab und Denkmal von BiPi (Lord Robert Baden- Powell of Gilwell) und seiner Frau Olave befinden sich hier.

Baden-Powells Lebensleistung als General, Pfadfinderführer und Staatsbürger war beachtlich. Er schrieb beispielsweise 34 Bücher, anfänglich für die Armee, schließlich für die Pfadfinderbewegung. Baden-Powell verbrachte seinen Lebensabend in Nyeri, wo er am 8. Januar 1941 im Alter von fast 84 Jahren starb.

Lord Baden-Powell wurde auf dem Friedhof von Nyeri bestattet. Auf Baden-Powells Grabstein befindet sich ein Kreis mit einem Punkt darin „☉“. Es ist eines der internationalen, allen Pfadfindern bekannten Wegzeichen, mit denen sie sich über alle Sprachbarrieren hinweg verschlüsselte Nachrichten geben können. Diese Nachricht Baden-Powells heißt: „Ich habe meine Aufgabe erfüllt und bin nach Hause gegangen.“

Dellis, die Leiterin des Museums erlaubte mir in der Anlage zu zelten. Fast 20 Jahre habe ich als Pfadfinder verbracht. Dieser Ort ist für mich fast ein kleiner Meilenstein auf meiner Afrika Tour. Nach einem Ruhetag stieg ich wieder in den Sattel und fuhr gegen Nordwesten in Richtung Great Rift Valley. Die Hauptstrassen wären eigentlich ganz in Ordnung. Jedoch sind die Fahrer eine totale Katastrophe. Aus diesem Grund versuchte ich meine Route auf die Nebenstrassen zu legen.

Abseits der asphaltierten Strassen lernt man auch viel eher das richtige Kenia kennen. In der Schule wird allen Schülern Englisch und Kiswahili beigebracht. Insgesamt gibt es jedoch 42 Stämme, die alle ihre eigene Sprache sprechen. Unsere 4 Landessprachen in der Schweiz sind dagegen ziemlich lachhaft. Eine Klasse besteht meistens aus 40 bis 60 Schülern. Die Primarschule dauert 8 Jahre, danach folgen 4 Jahre Oberstufe und gegebenenfalls nochmals 4 Jahre Studium.

Der Große Afrikanische Grabenbruch (englisch Great Rift Valley) ist eine Riftzone, die sich von Ostafrika nach Südwestasien erstreckt und durch die Spaltung der Arabischen Platte von der Afrikanischen Platte während der letzten 35 Millionen Jahre entstanden ist. Der Große Afrikanische Grabenbruch ist von seinem nördlichen Ende in Syrien bis zu seinem südlichen Ende in Mosambik rund 6000 Kilometer lang.

Das Rift Valley wird nach dem Stand der heutigen Fossilfunde als „Wiege der Menschheit“ angesehen, auch wenn einige neuere Funde aus Südafrika und dem Sahelraum die Theorie einer Entwicklung exklusiv in diesem Gebiet etwas relativiert haben. Das Rift Valley entwickelt sich weiter: In einigen Millionen Jahren wird das östliche Afrika vermutlich vom Rest des Kontinents abgespalten sein und eine neue eigene Landmasse bilden.

Einige Strassen hier kann man aus meiner Sicht nicht als solche bezeichnen. Mehrere Male musste ich Flüsse durchqueren, über Felsbrocken steigen oder durch den Sand schieben.

In den Dörfern sah ich viele Menschen mit sehr schönem Körperschmuck. Fotografieren wollte ich die Leute aber aus zwei Gründen nicht: Erstens hatte ich das Gefühl, dass dies schon zu viele Leute versucht haben und zweitens wollten sie gleich Geld, sobald ich mit ihnen ein Gespräch suchte. Oftmals, wenn die Leute mich sahen, riefen sie einfach “give me“. Aus meiner Sicht sollte man das “Great Rift Valley“ vielleicht eher in “Give Me Valley“ umbennen.

Mein Highlight hier kam am dritten Tag, als ich plötzlich eine Giraffe im Busch entdeckte. Meine erste auf dieser Reise überhaupt! Ich und Lucy hatten riesige Freude daran.

Auch Zebras, Affen und Dromedare sowie ganz viele Vögel sieht man hier. Jedoch sind diese Tiere meistens schon verschwunden bis ich meine Kamera ausgepackt habe.

Kenia ist allgemein eigentlich sehr hoch gelegen und bietet deshalb ein ziemlich angenehmes Klima für afrikanische Verhältnisse. Hier im Great Rift Valley stiegen die Temperaturen tagsüber jedoch auf fast 40° Grad. Mein Wasserverbrauch erhöhte sich rapide auf fast 8 Liter pro Tag. Zudem gibt es hier nicht an jeder Ecke einen Supermarkt zum einkaufen. Somit musste ich ziemlich viel Essen und Wasser mitschleppen.

Vom Great Rift Valley ging es nochmals richtig in die Höhe. Zuerst in das Kerio Valley und anschliessend auf das eigentliche Hochplateau mit den Cherangani Bergen. Nachdem ich am zweiten Tag total erledigt oben ankam konnte ich es kaum fassen, als ich in Iten den ersten richtigen Supermarkt seit langem fand. Die Stadt ist auch bekannt für seine Läuferinnen und Läufer. Fast alle Leichtathletik Talente Kenias kommen aus dieser Stadt. Ich lernte zwei von ihnen kennen, die schon in Davos trainiert und am Leichtathletik Meeting in Zürich teilgenommen haben.

In Kitale, meiner letzten grossen Stadt vor Uganda, wollte ich eigentlich nach all den Strapazen einen Ruhetag einplanen. Jedoch fand sich einfach kein Zeltplatz. Schlussendlich nahm mich der Bischof von Kitale für eine Nacht bei sich auf. Ich bekam eine warme Dusche, Nachtessen und ein richtiges Bett. Luxus pur! Im Nakumatt füllte ich meine Essensvorräte nochmals auf und traf dabei einen Motorradfahrer aus Südafrika. Roy fährt momentan gerade durch Süd- und Ostafrika. Er gab mir ein paar gute Infos für Uganda und ich ihm für Kenia.

Danach fuhr ich weiter in Richtung Mount Elgon (4321 M.ü.M.). Dort befindet sich ein kleiner Grenzübergang. Nach 5 Stunden Fahrt auf der staubigen Piste erreichte ich total erledigt den Grenzposten. Davor befindet sich eine eingezäunte Wiese. Die Grenzbeamten erlaubten mir darin mein Zelt aufzustellen und verwöhnten mich am nächsten Morgen mit Tee und Brot. Kenianische Gastfreundschaft bis zum Schluss!

In Äthiopien hätte ich meine Afrikareise beinahe abgebrochen. Kenia hat mir jedoch geholfen meinen Traum von Afrika nicht aufzugeben. Allen Menschen hier die mir in diesen 3 Monaten geholfen haben möchte ich von ganzem Herzen danken. Asante sana Kenia!