Pechsträhne

Pechsträhne


Nach 2 Wochen Pause verliess ich mit Wesley Livingstone um über die Schlagloch Piste an die namibische Grenze zu radeln. Mittlerweile vermute ich, dass ein Schlagloch gemäss afrikanischer Definition mindestens 2 Meter Durchmesser haben muss und 50cm tief ist. Mit der Zeit machten wir uns einen Spass daraus, wer am schnellsten um die Löcher herum fahren kann. Das ganze fühlte sich etwa so an wie wenn man Grand Theft Auto (GTA) spielt. Wesley hat 6 Jahre in den USA studiert und radelt von Nairobi her nun zurück in seine alte Heimat.

Auf Grund der Trockenzeit hatte ich darauf verzichtet die Victoriafälle zu besichtigen. Zum Ende der Regenzeit im Februar und März schießen bis zu 10.000 m³/Sekunde Wasser über den Nordrand der Schlucht in die Tiefe. Momentan liegt die Wassermenge jedoch unter 170 m³/Sekunde. Ausser einer Felswand sieht man nicht gerade viel. Umso mehr freute es mich, als ich an der Grenze zu Namibia zum ersten Mal den Sambesi Fluss zu Gesicht bekam.

Der Grenzübertritt ging enorm schnell für afrikanische Verhältnisse. Auf der Sambischen Seite wollten die Beamten unbedingt noch Bilder mit uns machen und die Namibischen Kollegen drückten schnell und ohne weitere Fragen ein 3 Monate Touristen Visa in unsere Pässe. Der ganze Prozess dauerte nicht einmal 15 Minuten! Eine solch effiziente Arbeitsweise ist man sich eigentlich hier in Afrika gar nicht gewohnt.

Gleich in der ersten Ortschaft, in Katima Mulilo, durften wir uns bei Susanne und Paul für 2 Tage einquartieren. Sie arbeiten ebenfalls für Interteam interteam.ch hier in der Gegend. Annatina hatte mir von ihnen bereits in Tansania erzählt und es ist schon fast 10 Jahre her, dass wir uns das letze Mal gesehen hatten. Sie verwöhnten uns mit leckerem Essen und einigen spannenden Erzählungen aus ihrer Zeit hier in Namibia. Vielen herzlichen Dank!

Auf dem Weg durch den Caprivi Streifen überholten uns zwei Velofahrer aus Deutschland. Heinz und Bernd sind von Lusaka aus gestartet und radeln für 3 Monate lang ein wenig durch das südliche Afrika. Wir unterhielten uns kurz bevor sie wieder davon radelten.

Die Entstehung des Caprivi Streifen geht auf den Vertrag zwischen Deutschland und England über die Kolonien und Helgoland vom 1. Juli 1890 („Sansibar-Vertrag“) zurück. Das Deutsche Reich verzichtete in diesem auf zukünftige Ansprüche auf Witu und Sansibar. Dafür fiel die Insel Helgoland an Deutschland, und seine Kolonie Deutsch-Südwestafrika erhielt Zugang zum Sambesi. Dahinter verbarg sich die Strategie, eine territoriale Verbindung der südwestafrikanischen Besitzungen mit Deutsch-Ostafrika zu schaffen.

Leider war der National Park für mich eine totale Enttäuschung. Tiere sahen wir praktisch keine und auf mehr als 60 Kilometer Länge wohnen Menschen in diesem Schutzgebiet. Aus meiner Sicht ist dieser Park ein absoluter Witz. Zudem sind die asphaltierten Strassen in ganz Namibia enorm eng. Solange es kein Gegenverkehr gibt fühlt man sich einigermassen sicher als Velofahrer. Jedoch nehmen die einheimischen Autofahrer hier kaum Rücksicht auf Velofahrer. Zum Glück sind hier in Namibia ziemlich viele Touristen mit eigenen Autos unterwegs. Diese bremsen schön ab und überholen mit genügend Abstand. So etwas ist man sich schon fast nicht mehr gewöhnt.

In Divundu musste ich mich bereits wieder von Wesley verabschieden. Er wollte dem Okavango Fluss entlang fahren, während ich weiter der Grenze zu Angola folgte. Am gleichen Tag überholten mich noch einmal Heinz und Bernd. Zusammen übernachteten wir auf einer Farm und ich wurde von ihnen sogar noch zu einem Bier eingeladen. Vielen Dank!

Die Fahrt durch den Norden Namibias unterschied sich in keiner Weise von dem restlichen Afrika. Überall Menschen, die in Lehm- oder Wellblechhütten leben und die ganze Buschlandschaft anzünden. Die enorm rücksichtslosen Fahrer fuhren mich auf den engen Strassen teilweise fast über den Haufen. Keinem Menschen würde ich es empfehlen hier im Norden von Namibia mit dem Velo rum zu fahren. Zuerst müssen die Menschen hier lernen, wie man richtig Auto fährt.

Die schlimmsten Terroristen in Afrika sind für mich nicht die Boko Haram, Al Shabaab oder wie sie alle heissen, sondern die Fliegen! Diese kleine Mistviecher trieben mich von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang jeden Tag schier in den Wahnsinn. Psychoterror pur! Auch einen ruhigen Schlafplatz für die Nacht zu finden war nicht immer einfach. So musste ich ein paar Mal ziemlich improvisieren.

Nach fast 1’200 Kilometern Fahrt durch den Norden von Namibia, kam ich in Opuwo an. Eigentlich wollte ich mich hier ein paar Tage erholen. Der Ort gefiel mir jedoch überhaupt nicht. Opuwo wurde von der Südafrikanischen Regierung als Verwaltungszentrum für das kommunale Gebiet der Himba aufgebaut und bedeutet in der Stammessprache der Himba so viel wie „das Ende“. Ein sehr passender Name finde ich. Seit einigen Tagen hatte ich mit starkem Durchfall zu kämpfen. Nicht gerade ideal, wenn das Thermometer jeden Tag auf über 40° Grad steigt und man mehr als 10 Liter täglich verbraucht. Am Ende entschied ich mich für eine Antibiotika Therapie.

Die Distanzen zwischen den einzelnen Städten sind enorm gross und dazwischen gibt es häufig einfach nichts. Mit einem motorisierten Fahrzeug ist dies nicht besonders tragisch. Jedoch kann es mit dem Velo schnell mal zu einem Problem führen. Zeitweise schleppte ich bis zu 36 Liter Wasser und Lebensmittel für 7 Tage mit mir rum. Dafür freute ich mich umso mehr, als ich kurz nach Opuwo auf die D3707 ins Kaokoveld einbiegen konnte.

Das Kaokoveld ist ein rund 50.000 Quadratkilometer großes Gebiet. Von 1970 bis 1989 bildete es, unter dem Namen Kaokoland ein Homeland innerhalb Südwestafrikas. Mir gefiel die Gegend auf Anhieb. Zum ersten Mal auf meiner Reise durch Afrika sah ich nicht jeden Tag tausende von Menschen. Die wunderschöne Landschaft, vermischt mit der Stille die hier herrscht, waren Balsam für meine Seele. Jedoch wurde Dusty (mein Velo) und ich auf eine harte Probe gestellt. Die Strasse kann man aus meiner Sicht nicht als solche bezeichnen. Nicht einmal die Bezeichnung “Piste“ haben gewisse Abschnitte verdient. Oftmals musste ich Dusty durch tiefen Sand, Felsen und Geröll mehrere Kilometer weit schieben. Schon ziemlich bald merkte ich, dass ich die Strecke nicht in der geplanten Zeit absolvieren kann.

Somit hiess es von nun an das Wasser und den Proviant zu rationieren. Glücklicherweise kam mir fast jeden Tag ein Allradfahrzeug entgegen. Die meisten von ihnen waren Touristen, die eigentlich immer anhielten und mir meistens ein paar Lebensmittel oder Wasser gaben. Zudem motivierten sie mich sehr, was ich gut gebrauchen konnte. Einmal lud mich eine Gruppe sogar spontan zu einem Frühstück an der Strasse ein! Von den Einheimischen jedoch hielt kaum ein einziges Fahrzeug.

Teilweise fühlte ich mich wie auf einem anderen Planeten. Gegen Mittag setzte immer ein starker Wind ein, der bis zum Abend stärker wurde. Dadurch war es eine richtige Herausforderung am Abend das Zelt aufzustellen und eine Mahlzeit auf dem Benzinkocher zu kochen. Dafür wurde ich jede Nacht mit einem atemberaubendem Sternenhimmel belohnt.

Mit dem Durchfall hatte meine Pechsträhne begonnen. Fast täglich kamen weitere Probleme hinzu. In Livingstone hatte ich mir neue Hosen gekauft. Die Strapazen führten dazu, dass diese schon nach 2 Wochen total zerrissen waren. Von dem vielen Sand fing meine Schaltung immer mehr an zu knacksen. Irgendwann flog die Kette raus und dabei entdeckte ich den Schaden: Die Zähne am hinteren Kettenblatt waren fast alle abgebrochen. Niemand konnte mir helfen. Zudem brach mir eine Getriebeschraube ab, als ich diese anziehen wollte und die Lenkereinschlagsbegrenzung löste sogar das ganze Gewinde dabei auf. Auch die Reissverschlüsse an meinem Zelt funktionierten irgendwann nicht mehr richtig.

Ein weiteres Highlight hier waren die vielen Tiere. Jeden Tag begegnete ich ganz unterschiedlichen Arten. Straussen, Kudus, Springböcke, Giraffen, Zebras, Spiessböcke, Affen und viele weitere kreuzten täglich meinen Weg und blieben oftmals nur wenige Meter von mir entfernt stehen.

Für die Strecke durch das Kaokovield benötigte ich insgesamt 7 Tage. Dies war definitiv mein landschaftliches Highlight in ganz Afrika und die Strapazen haben sich gelohnt. Total erledigt erreichte ich Sesfontein. Der Ort war eine ziemliche Enttäuschung. Ausser einem kleinen Laden und ein paar Lehmhütten gab es fast nichts. Wenigstens fand ich bei einem Automechanicker eine Handfeile mit der ich die Zähne an Kettenblatt nachfeilen konnte. Dabei fasste ich den Entschluss, die restlichen 600 Kilometer bis nach Swakopmund noch schiebend zurück zu legen.

Die endlosen Wellblechpisten nahmen kein Ende und die Steigungen waren meistens steiler als die Eiger Nordwand. Ich fluchte wie verrückt über die inkompetenten Afrikaner, die nicht einmal fähig sind richtige Strassen zu bauen. Dabei lösten sich durch das viele Schieben auch langsam meine Schuhe auf und das viele Gewicht auf meinem Velo (fast 90kg) führte in Kombination mit dem Sand dazu, dass sich das Profil meiner Reifen ziemlich schnell auflöste.

Wie ich die Strecke geschafft habe, kann ich kaum sagen. Körperlich und mental war ich total am Ende als ich nach 23 Tagen endlich die Silhouette von Swakopmund am Horizont erblickte. Mein Material und ich selber brauchen jetzt einen Totalservice. Die schlechten Strassen hier in Namibia haben ihren Tribut gefordert. Mit Wollust stürzte ich mich zuerst unter die Dusche und danach auf die vielen Supermärkten und Bäckereien hier im Ort. Genau das liebe ich so am reisen mit dem Velo: Bereits die kleinsten Dinge können einem enorm glücklich machen.