Rückzug

Rückzug


Nach einer weiteren eisigen Nacht kroch ich am nächsten Morgen aus dem Zelt. Die ganze Landschaft war von frischem Schnee überzogen und der nächste Sturm war bereits unterwegs. Somit blieb mir nichts anderes übrig als wieder zurück nach Kaza zu radeln. In einem einzigen Tag radelte ich die ganze Strecke retour und kam total erledigt am Abend dort an.

Dabei machte ich einen fatalen Fehler: Zum kochen war ich viel zu müde und entschloss deshalb im Hostel zu essen. Die Inder haben null Ahnung von Hygiene. Dies wurde mir dann schlagartig bewusst, als ich mitten in der Nacht aufs Klo rannte und das ganze Essen wieder hoch beförderte.

Schlussendlich dauerte es noch weitere 8 Tage bis ich mich einigermassen davon erholt hatte (Antibiotika sei dank!). So blieb mir ein wenig Zeit die Gegend zu erkunden und Pläne zu schmieden.

Kaza ist die eigentliche Hauptstadt im Spiti Tal. Somit auch ein guter Ort um seine Vorräte aufzufrischen. Das Internet funktionierte hier meistens nicht und viele Unterkünfte sowie Restaurants sind um diese Jahreszeit noch geschlossen.

Mir fiel es nicht leicht einen Entschluss zu meiner Weiterreise zu fassen. Der Kunzum La Pass würde noch bis Ende Mai geschlossen bleiben. Ein paar Wochen hier zu warten hätte mir nichts ausgemacht. Jedoch lief mein Indien Visa bald ab. So blieb mir nur noch der Rückzug übrig.

Die Mitarbeiter vom Hostel in Kaza empfahlen mir noch einen Abstecher nach Langza, Hikkim, Komic und das Pin Tal zu machen. Die Fahrt von Kaza (3’650 m.ü.M.) nach Langza (4’410 m.ü.M.) ging ordentlich in die Beine. Obwohl das Dorf nur 14km entfernt liegt benötigte ich einen halben Tag für die Strecke.

In Langza steht eine ziemlich grosse Buddhastatue, die das Tal überblickt und im Hintergrund sieht man den Chau Chau Kang Nilda (6’303 m.ü.M.).

Die Strasse nach Hikkim war zum grössten Teil ein einziger Sumpf. Erst kurz vor Komic (4’520 m.ü.M.) wurde es ein wenig besser und ich musste nicht mehr Dusty (mein Velo) durch den Morast stossen. Kurz vor Komic stellte ich total erschöpft mein Zelt auf.

Obwohl ich nur mal gerade 23km an diesem Tag geschafft hatte war ich völlig am Ende. In der Nacht fielen die Temperaturen auf -10° C. Mein Schlafsack hält solchen Bedingungen nicht stand. Zum Glück hatte ich genügend Kleider dabei um in der Nacht nicht zu erfrieren.

Am nächsten Tag besuchte ich das Tangyud Kloster, welches sich oberhalb des Dorfes befindet und vermutlich aus dem 14. Jahrhundert stammt. Bei einem Erdbeben 1972 wurde es ziemlich stark beschädigt. Im Winter leben gerade mal 4 Mönche hier. Einer von ihnen führte mich durch die gesamte Anlage. Angeblich soll dies einer der höchsten, ganzjährig bewohnten Orte in Asien sein.

Die Strasse nach Demul war leider immer noch unpassierbar. So fuhr ich zurück nach Kaza und von dort aus in Richtung Pin Tal. Gleich beim Eingang zum Tal, wo der Pin und Spiti Fluss zusammen fliessen, kam mir die erste Gewitterfront entgegen.

So stellte ich bald mein Zelt in der Nähe des Pin Flusses auf. Hier kann man überall ungestört zelten und die Menschen lassen einem in Ruhe. Gerade diese Stille und Einsamkeit habe ich so sehr vermisst!

Nach einer weiteren kalten Nacht erreichte ich am nächsten Morgen das Dorf Gulling. Etwa 3km ausserhalb befindet sich auf einer Anhöhe das Kungri Kloster. Es gilt als Zentrum der tantrischen Schule des Buddhismus und wurde im Jahre 1330 gegründet.

Überall lag in der Klosteranlage noch Schnee verteilt. Die Mönche erlaubten mir die 2 ältesten Teile der Anlage (aus dem 14. Jahrhundert) zu besichtigen. Besonders die Wandmalereien fand ich sehr schön.

Noch am gleichen Tag fuhr ich wieder zurück ins Spiti Tal und ruhte mich in Tabo im Gästehaus des Klosters für 2 Tage aus. Wenn man die gleiche Strecke zweimal fährt entdeckt man manchmal Sachen, die einem bislang gar nicht aufgefallen sind.

Die Steigung nach Nako hoch war richtig hart. Das letzte Mal als ich hier durchkam hatte ein Felssturz die Strasse weggefegt. Jetzt war sie bereits wieder repariert. Hier genoss ich noch die letzte ruhige Nacht.

Bereits in der Kinnaur Region wurde ich wieder vom Indischen Alltag eingeholt. Der Verkehr, die verstopften Strassen, Hupkonzerte, massenhaft Menschen, Müllberge und vor allem die tropische Hitze hatte ich überhaupt nicht vermisst. Schon nach wenigen Stunden wünschte ich mich zurück ins Spiti Tal.

Diesmal entschloss ich mich auf der Hauptstrasse via Shimla nach Rishikesh zu radeln. Was aus meiner Sicht ein Fehler war. Besonders die vielen Lastwagen und Busse machten die Fahrt nicht gerade angenehm. Jeden Tag sah ich schwere Unfälle, was mich bei dem indischen Fahrstil überhaupt nicht überraschte.

Zudem hatte ich meistens grosse Mühe einen Zeltplatz zu finden. Indische Unterkünfte versuchte ich auf Grund der vielen negativen Erlebnisse möglichst zu vermeiden. Nach 9 Tagen erreichte ich dann Rishikesh, wo ich mich ein paar Tage erholte und endlich wieder einmal eine richtige Dusche genoss.

Von Rishikesh aus fuhr ich in 2 Tagen zurück an die Nepalesische Grenze, dankbar dem Indischen Verkehr entkommen zu sein. Velofahren in Indien ist aus meiner Sicht enorm gefährlich und ich würde es nicht unbedingt empfehlen.

Die Menschen in Indien empfand ich als sehr freundlich und hilfsbereit. Jedoch kam ich mit einigen Dingen überhaupt nicht klar. Besonders die Müllberge und das ganze Chaos waren ein bisschen zuviel für meinen Geschmack und die ständigen “Can I take a Selfie with you?“- Fragen gingen mir mächtig auf die Nerven.

Die Reise ins Spiti Tal hingegen war definitiv ein Highlight von dem ich mein Leben lang noch zerren werde. Der Lebensstil der Menschen vermischt mit der wunderschönen Berglandschaft haben mich zutiefst fasziniert. Bislang konnte ich auf meinen Reisen nur wenige Plätze auf diesem Planeten antreffen, die so einzigartig sind. Hoffentlich kann diese Region ihre Kultur und Traditionen erhalten.

Ein deutscher Motorradfahrer hatte mir in Nepal das Spiti Tal sehr gut beschrieben: „Es ist der schönste Ort in Indien, weil es nicht wie Indien ist“. Dieser Aussage kann ich nur zustimmen.