4’655 M.ü.M.

4’655 M.ü.M.


Am Abend vor meinem geplantem Visaverlängerungs Versuch traff Talon aus Bristol, England, im Guesthouse ein.
Er hatte genau das gleiche Visa wie ich und wollte ebenfalls einen Versuch wagen um dies zu verlängern. Leider erwischte es uns beide erneut mit einer Durchfallattacke. What a Feeling! Ziemlich entkräftet wagten wir Tags darauf einen Versuch beim Konsulat. Zum Glück war zur selben Zeit eine Mitarbeiterin der Deutschen Botschaft dort, die uns sehr behilflich war. Leider stellte sich heraus, dass maximal um 15 Tage eine Verlängerung beantragt werden kann. Was aber 4-8 Arbeitstage dauert. Je nach dem wie es gerade läuft. Unsere Beraterin empfahl uns, dass wir am besten unsere Botschaften kontaktieren sollten. Auf dem schweizerischen Konsulat wurde ich sehr höfflich empfangen und die Mitarbeiter gaben sich sehr viel Mühe mir irgendwie zu helfen. Doch irgendwann realisierten auch sie, dass es ziemlich schwierig ist ein Touristenvisa in Tadjikistan zu verlängern.

Talon hatte ebenfalls keinen Erfolg auf der britischen Botschaft erzielen können und so entschlossen wir uns notgedrungen am nächsten Tag ein Taxi nach Khorog zu nehmen. Dadurch würde uns noch genügend Zeit übrig bleiben um in Zwölf Tagen der Afghanischen Grenze entlang durch das Wakhan Tal zu fahren.

Mit Sebastian und Ines, zwei deutschen Rucksacktouristen, verabredeten wir uns am nächsten Tag um 7:00 Uhr am Busterminal. Ein weiterer Tourist aus Italien stieg noch bei uns ein. Ziemlich voll beladen ging die 15 stündige Fahrt, im Konvoi mit Fünf Autos, um 10:00 Uhr los.

Anfangs war die Strasse noch gut asphaltiert. Schon ziemlich bald war aber Schluss damit und das Schütteln ging los. Irgendwie gefällt mir Velofahren definitiv besser. Morgens um 1:00 Uhr kamen wir ziemlich ermüdet in Khorog an.

In der Pamir Lounge traffen wir auf Tim und Andi aus der Schweiz potatoesonwheels.blogspot.com. Sie sind ebenfalls fast zeitgleich wie ich von der Schweiz aus gestartet und wollen Ende Frühjahr 2012 in Thailand sein. Sie fuhren mit einem belgischen Velopärchen einen Tag früher als wir los. Wir fühlten uns immer noch nicht so fit und entschlossen uns noch ein wenig zu erholen. Am Abend traffen Nora und Roman ein. Sie waren in vier Tagen von Kalaikhum nach Khorog getrampt und so konnten wir uns nochmals wieder sehen.

Einigermassen munter ging es am nächsten Morgen zuerst auf den Basar.

Einkaufen ist hier nicht ganz so easy. Man muss schon ziemlich genau wissen, was man will. Nach zwei Stunden hatten wir einigermassen alles zusammen, was wir für nötig hielten. Kurd, mein Velo, ächzte schon ziemlich beim losfahren unter der ganzen Last. Im Wakhan Tal ist es ziemlich schwierig die geeigneten Zutaten zu finden.

Kurz nach Khorog folgte die Strasse dem Fluss. Auf der gegenüberliegenden Seite liegt Afghanistan. Die Bauernhäuser waren teilweise so nahe, dass man den Leuten fast über den Fluss die Hand schütteln konnte. Wir waren beide tief beeindruckt von dieser sagenhaften Landschaft.

Der Pamir, der zum Dach der Welt gezählt wird, hat eine Fläche von etwa 120.000 km², wovon 1.200 km² vergletschert sind. Der äußerste Norden des Faltengebirges gehört zu Kirgisistan, der Osten zu China, der Süden zu Afghanistan, der Rest zu Tadschikistan. Der Pamir verbindet einige der großen Gebirgszüge Asiens: Tianshan im Norden, Karakorum im Süden, Kunlun Shan im Südosten und Hindukusch im Südwesten. Im Osten des Pamir schließt das Hochland von Tibet an, das häufig ebenfalls als Dach der Welt bezeichnet wird.
Die mittlere Höhe des Pamirs liegt bei etwa 3.600 bis 4.400 m, was meist über der hier bei 3.700 m liegenden Baumgrenze liegt. Im Pamir entspringt unter anderen der Pamir, der rechte Quellfluss des Pjandsch. Der größte See im Pamir ist der Karakul in Tadschikistan.

Es gibt häufig Erdbeben, durch eines entstand 1911 der Saressee. Das Klima ist rau und trocken. Die Bewohner sind meist Viehzüchter und halten Yaks und Fettschwanzschafe.

Die Tierwelt des Pamir setzt sich naturgemäß aus Hochgebirgsarten zusammen. Zu den bekanntesten, aber auch den seltensten Tieren des Gebirgszugs zählen der Schneeleopard und das Marco-Polo-Argali.
Der Pamir beansprucht 45% der Gesamtfläche Tadjikistans, aber nur gerade 3% der Gesamtbevölkerung leben hier. Dies ist vorallem auf die topografisch schwierige Lage zurück zu führen. Der Fedchenko Gletscher zählt mit einer Länge von 70 Kilometern zu den längsten der Welt und auch sonst gab es für uns in diesen zwölf Tagen haufenweise interessante Dinge zu bestaunen.

Schon nach kurzer Zeit überholten uns Franziska und Leo aus Luzern auf ihrem Motorrad.

Wir hatten sie in Khorog kennen gelernt. Sie haben in Kirgistan ein Motorrad gemietet und fahren mit diesem nun für ein paar Wochen durch Zentralasien. In den kommenden Tagen kreuzten sich unsere Wege des öfteren. Sie halfen uns einige Male aus der Patsche mit Benzin für den Kocher oder ein paar Flaschen Wasser. Dankä vielmal für de tolli Supportservice Fränzi und Leo!

Was mich persönlich am meisten beeindruckte war die offene und immer äusserst zuvorkommende Gastfreundschaft der Einheimischen.

Durch meine zweimonatige Reise durch den Iran bin ich mir schon einiges gewohnt in Sachen Gastfreundschaft. Aber was wir hier im Wakhan erlebten übertraff alles. Als wir beispielsweise in einem Dorf ein Brot auftreiben wollten, lud uns ein Bauer gleich zu sich nach Hause zum Çay (Tee) ein. Seine Frau servierte zwei Teller mit Reis und kam wenig später mit einer riesigen Platte Kartoffeln zurück. Am Ende schenkten sie uns zwei Brote und einen ganzen Sack voll Kartoffeln, die sie direkt vom Feld holten.

Jede Person die uns sah winkte uns zu und begrüsste uns. Am Abend war meine Schulter jeweils beinahe luxiert vom ewigen Winken. Wäre die ganze Menschheit so liebenswürdig wie diese Leute hier im Wakhan Korridor, gäbe es bestimmt mehr Frieden auf Erden. Der Grossteil der Bevölkerung lebt von der Landwirtschaft. Im September ist einiges los auf den Feldern und so konnten wir dem regen treiben vom Drahtesel aus zusehen.

Nur ein einziges Mal hatten wir eine amüsante Auseinandersetzung mit den Einheimischen: Als wir erst bei Anbruch der Dunkelheit einen Zeltplatz neben einem Feld fanden, unsere Zelte bereits aufgebaut hatten und im Schein der Stirnlampen am Kochen waren, flog auf einmal etwas in unsere Richtung.
Wir leuchteten die Umgebung ab und schon bald kamen drei Männer mit Stöcken bewaffnet auf uns zu. Wir erklärten ihnen mit wenig russisch, dass wir nur Touristen sind, die hier übernachten wollen. Sie fingen an zu lachen und erklärten uns, dass sie mit Kartoffeln nach uns geworfen hätten. Nächtliche Kartoffelwerfer. Das ist mal etwas Anderes!

Der Wakhan-Korridor ist ein schmaler Landstrich im Pamir-Gebirge im äußersten Nordosten Afghanistans, der sich zwischen der Grenze zu Tadschikistan im Norden und derjenigen zu Pakistan im Süden bis zu einer kurzen Grenze zwischen Afghanistan und China im Osten erstreckt. Seine Länge beträgt ungefähr 300 km, seine Breite variiert zwischen 17 km und über 60 km.

Der Wakhan-Korridor ist ein Relikt des Great Game zwischen Großbritannien und Russland um die Vorherrschaft in Zentralasien Ende des 19. Jahrhunderts. Er sollte eine neutrale Zone zwischen dem bis zur Durand-Linie reichenden Britisch-Indien einerseits und Russisch-Zentralasien andererseits bilden.
Der Korridor ist nach dem ihn im Ostteil durchfließenden Fluss Wachandarja benannt, der sich im Mittelteil des Korridors mit dem Pamir zum Pjandsch vereinigt.

Der Wakhan-Korridor ist eines der entlegensten Gebiete Afghanistans. An seiner schmalen Stelle bildet der Pjandsch die Grenze zu Tadschikistan. An dieser Stelle liegt eine der am wenigsten erschlossenen Regionen der Welt in unmittelbarer Nähe des vergleichsweise fortschrittlichen tadschikischen Gebiets mit guten Straßen und Siedlungen.

In Langar zweigt die Strasse ab und verlässt den Korridor, der weiter nach Afghanistan führt. Nach einer kurzen Lunchpause ging es für uns weiter richtung Khargush Pass (4344 M.ü.M.) und erstmals so richtig den Berg hoch. Zum Glück halfen ein paar Kinder kräftig mit beim stossen. Wir schenkten ihnen zum Schluss unsere alten Bonbons. Sie wollten eigentlich Sumonis ( tadjikische Geldwährung, 1 Dollar entspricht etwa 4.75 Sumonis) haben. Leider funktionierte dieser Deal bei uns nicht. Sorry Kids!

Velofahren war auf dieser Strasse relativ unmöglich und bei den grösseren Steigungen mussten wir immer wieder absteigen und unsere Velos stossen. Erst jetzt realisierte ich langsam, wie schwer mein lieber Kurd wirklich ist. Dafür wurden wir immer wieder mit einer herrlichen Weitsicht belohnt.

Tags darauf überholte uns Jerry aus London mit seinem Auto. Er war uns bereits im Guesthouse in Dushanbe begegnet und hat dort eine Ambulanz dem Krankenhaus übergeben. Sein zweites Fahrzeug fährt er jetzt in die Mongolei.

Die Höhe machte uns immer mehr zu schaffen. Wegen der sandigen und ziemlich steinigen Strasse kamen wir nur sehr langsam vorwärts. Was eigentlich gut war. So konnten wir uns langsam anklimatisieren und standen nach drei Tagen harter Arbeit auf unserem ersten Pass. What a Feeling! Gleich ein wenig unterhalb stellten wir unsere Zelte auf.

Am Morgen war das Wasser in unseren Trinkflaschen gefroren, Talon hatte mit seinem dünnen Schlafsack ziemlich gefroren und mein Darmmanagement war wieder im Eimer. So fängt ein guter Tag an. Schon nach zwei Stunden erreichten wir aber zum guten Glück den asphsltierten Pamir Highway. Nach nur etwa einem Kilometer traffen wir erneut auf Climent aus Spanien. Er kam uns bereits einmal im Wakhan Korridor entgegen und war jetzt auch nach Murgab unterwegs. Er kochte uns Tee mit Toastbrot. Was für eine Wohltat!

Während den nächsten zwei Tagen begleitete er uns und erzählte viele spannende Geschichten aus seiner sechsjährigen Reise durch Südamerika. Talon und ich genossen die Abwechslung. Die meiste Zeit wehte jetzt ein starker Gegenwind. Im Wakhan Korridor waren wir mit edelstem Rückenwind verwöhnt worden und jetzt kam die Rechnung zurück. Rund um uns herum schneite und stürmte es. Ich war in der Nacht ziemlich froh eine gute Isomatte und einen warmen Schlafsack dabei zu haben. Manchmal lohnt es sich ein wenig mehr Gewicht mit sich zu tragen. Exped hat mir definitiv ein paar warme Nächte beschert.
Die Landschaft im Pamir lässt sich eigentlich fast nur mit Bildern beschreiben:

Eine solch unberührte und menschenleere Gegend habe ich in meinem Leben noch nie gesehen. In Murgab mussten wir uns von Climent verabschieden. Wir verbrachten eine Nacht im Guesthouse, wo wir nochmals auf Fränzi und Leo traffen. Es gab erstmals nach acht Tagen eine Dusche und ein köstliches Abendessen. Was für ein Traum!

Das Hinterrad von Talon war ziemlich demoliert und so mussten wir am nächsten Tag neben Lebensmittel einkaufen und Internet updaten auch noch eine Notoperation durchführen, was uns fast den ganzen Tag kostete. Erst um 17:00 Uhr ging die Reise weiter.

Der nächste Tag stand im Zeichen des Akhaital Passes. Er ist mit 4655 M.ü.M. der höchste befahrbare Pass im Pamir Gebirge. Ich hatte in den Serbentinen das Gefühl, meine Lunge und das Herz explodieren jeden Moment. Wahrscheinlich hatte Ueli Steck etwa das gleiche Feeling, als er am Eiger das Gipfeleisfeld hoch rannte. Oben angekommen waren wir beide ziemlich überwältigt. Geschafft! Mein höchster Punkt der Reise!

Der Wind bliess ziemlich stark und war saumässig kalt. Nachdem wir beide alle unsere wärmsten Kleider angezogen hatten, ging es über die Schotterpiste wieder runter ins Tal.
In den nächsten zwei Tagen erholte sich mein Magen dank den vielen Snickers und Antibiotikatabletten ziemlich schnell wieder. Das Wasser, welches wir aus den Quellen schöpften und immer brav mit Micropur desinfizierten, leistete den Rest der Arbeit. Dafür hatte Talon jetzt erneut Durchfall. Ein richtiges Ping Pong Spiel. Trotz heftigem Gegenwind schafften wir in den nächsten zwei Tagen den Uy Bulak (4232 M.ü.M) und den Kizil Art Pass (4336 M.ü.M). Die dünne Luft tat unseren Hirnzellen definitiv nicht gut. Wir machten beispielsweise ein Ritt auf einem Stahl Yack

und hielten eine Ruine, die uns windschutz gab, für ein drei Sterne Hotel. Liebe Kinder: Passt auf, dass ihr in den Bergen nicht den Verstand verliert.

Beim Grenzübertritt musste ich zum ersten Mal meine Taschen aufmachen. Am Schluss offerierten uns die Grenzbeamten aber doch noch einen Çay.
Das Niemansland zwischen Tadjikistan und Kirgistan ist vermutlich eines der Grössten in ganz Asien. Für die Kirgisen ist der Pass zu kalt und somit haben sie ihren Kontrollpunkt 20 Kilometer weiter unten, im windgeschützten Tal aufgestellt. Da mein Visa für Tadjikistan am 30.08 ablief und das kirgisische erst ab dem 1.10 gültig war, übernachteten wir kurzerhand im Nomansland. Zwei englische Radfahrerinnnen, die von Pakistan richtung Heimat unterwegs sind, leisteten uns Gesellschaft.

Nach einer kalten Nacht (-15 Grad Celsius) fuhren wir über die Grenze nach Kirgistan und traffen tatsächlich echte Yakherden.

In Sari Tash angekommen, wurde uns dann bestätigt, was wir schon von anderen Velofahrern vernommen hatten: Wegen nationalen Feierlichkeiten haben die lieben Chinesen die Grenzen für 10 Tage geschlossen. Wir entschlossen uns deshalb am nächsten Tag mit dem Taxi nach Osh zu fahren um uns ein wenig zu erholen und dann gemütlich per Velo wieder an die Grenze zurück zu radeln.

Hier in Osh habe ich vom tragischen Tod von Alex erfahren fernziele.info. Ich möchte an dieser Stelle Bettina und allen Angehörigen mein tiefstes Beileid aussprechen.