Auf der Flucht

Auf der Flucht


Nach einem erholsamen Tag in Huatugou fuhren wir weiter durch die Hochebenen des Artun Shan Gebirges in der Provinz Qinghai. Qinghai ist eine relativ unbekannte Provinz und wegen ihren Straflager und Atomendlagerstätten auch als „Chinesisches Sibirien“ bekannt. Das wurde uns schon bald bewusst. In der ersten Nacht fiel das Thermometer erneut unter die minus 15 Grad Marke.

Auf einer Veloreise gibt es immer Dinge, die irgendwann kaputt gehen. Ständig gibt es etwas zu reparieren. Diesmal gab mein Reissverschluss beim Zelt seinen Dienst auf. Mit Sicherheitsnadeln musste ich das Zelt schliessen. Nicht gerade angenehm in einer eisig, kalten und windigen Gegend. Die Landschaft war enorm hügelig und immer wieder ging es auf kleinere Pässe.

Ungefähr 1’500 Kilometer vor Xining nahmen wir die Abzweigung Richtung Norden. 168 Kilometer mit nur einer einzigen Ortschaft dazwischen und permanent zwischen 2’000 und 3’500 M.ü.M. Verlockende Prophezeiung! Uns ging am ersten Tag das Wasser mal wieder langsam aus. Zu unserem Glück tauchte irgendwann eine kleine Siedlung mit Wanderarbeitern auf. Diese gaben uns frisches Wasser und füllten sogar noch unsere Thermosflaschen mit heissem Wasser. Wow! Neben wunderschönen Landschaften tauchten ab und zu auch Autowracks auf.

Am zweiten Tag, nach einer eisig kalten Nacht, trafen wir in Lenghu ein. Der erste Shop wurde gleich überfallen. Das ist das Gute am Veloreisen: man hat immer Hunger und kann so viel in sich hinein stopfen, wie man will.

Im einzigen Hotel der Stadt wollten sie 400 Yuan für ein dreier Zimmer haben, obwohl auf der Preisliste 280 Yuan angegeben wurden. In China ist es allgemein üblich, dass Ausländer keine günstige Zimmer bekommen. Preisnachlässe sind aber meistens möglich. Diesmal hatten wir aber keine Chance. Der Dorfpolizist stand bei der Verhandlung direkt neben uns. Ich packte meinen ganzen Schweizerdeutschen Fluchwortschatz aus, um diesem inkompetenten Trottel meine Meinung zu sagen. Das Problem löste sich dadurch nicht, aber ich fühlte mich schon ein wenig besser.

Danach machten wir ein Gästehaus ausfindig, das uns für 80 Yuan aufnahm. Wir waren gerade am Gepäck abladen, als der Besitzer vom Polizist einen Anruf bekam. Es wurde ihm nicht gestattet uns aufzunehmen. Die lieben Chinesen haben in Sachen Tourismus noch einiges zu lernen!
Leicht frustriert gingen wir in ein warmes Restaurant und assen erstmal eine herrliche Portion Nudeln mit Gemüse und Bier. Danach stellten wir die Zelte ausserhalb der Ortschaft auf und krochen früh ins Bett.

Das liebe Bier, der starke Wind und die Kälte sorgten für eine ziemlich schlaflose Nacht.
Am nächsten Morgen sassen wir beim Frühstück und genossen die Sonne an einem windstillen Platz. Meistens müssen wir warten, bis die Sonne auf das Zelt scheint am Morgen, weil es bis dahin einfach viel zu kalt ist zum Aufstehen. Nach vier Runden Yatzi entschlossen wir uns noch einen Tag hier in Lenghu zu verweilen.
Am Abend ging es erneut zu unserem Nudelkönig. Dort schmiedeten wir einen Plan für den nächsten Tag: an der einzigen Tankstelle im Ort wollten wir versuchen einen Lastwagen zu finden, der uns bis nach Dunhuang mitnimmt. Die Angestellten an der Tankstelle waren äusserst freundlich und hilfsbereit. Nach zwei Stunden warten tauchte immer noch kein Fahrzeug auf. Uns wurde aber versichert, dass um 12:00 Uhr ein Bus nach Dunhuang fahren würde. Tatsächlich fanden wir nach intensiver Suche den Ticketschalter, zahlten drei Tickets extra für die Velos (390 Yuan Total) und sassen schon kurze Zeit später im geheizten Bus nach Dunhuang. Ein herrliches Gefühl!

Bestätigt wurde unsere Entscheidung, als wir über den Pass fuhren. Vielerorts war die Strasse vereist und es lag überall Schnee. Dunhuang war für mich im ersten Moment eine kleine Reizüberflutung. Nach vier Wochen in der Wüste fühlte ich mich wie ein Alien in dieser Stadt. Überall Shops, Restaurants, Lichter, Banken und haufenweise Leute. Da muss man sich erst wieder daran gewöhnen.

Das Hotel war schnell gefunden und gleich nebenan befand sich ein Café, das neben Espresso, Cappuccino und Café Latte auch noch Internet hatte.

Der ganze Komfort gefiel uns dermassen, dass wir gleich vier Tage in der Stadt blieben. Einmal versuchten Tim und ich die Sanddünen und den Mondsichelsee zu besichtigen. Diese Touristenattraktion kostet 120 Yuan. Das war uns dann irgendwie ein wenig zu viel des Guten. Das die Chinesen wahre Meister im Zaunbau sind wurde uns schon in Tadjikistan bewusst. Wir versuchten uns am Eingang vorbei zu schmuggeln, mussten aber irgendwann aufgeben.

Auf dem Markt in Dunhuang gab es zahlreiche kleine Restaurants, welche köstliche Lokale Spezialitäten kochen. Ein wahrer Traum für den Gaumen. Logischerweise besuchten wir täglich diesen Ort. Brot, Butter und Konfitüre kennen sie hier gar nicht. So gibt es halt mittlerweile zum Frühstück jeweils einfach Nudelsuppe. Schmeckt auch nicht schlecht. Ein frischer Butterzopf mit Honig und heisser Schoggi wäre mir aber viel lieber.

Neben dem Essen testeten wir auch erstmals in China beim Würfelspiel den Reisschnaps „baijiu“. Ein ziemlich hoch konzentrierter Drink, der am nächsten Tag für leichte Kopfschmerzen sorgte. Der Hauptgrund für einen Besuch in Dunhuang sind die Mogao- Grotten. Da diese auf unserem Weg lagen, entschlossen wir uns einen Abstecher dorthin zu machen. Unterwegs fanden wir einen kleinen Boulderspot.

Andi hat den Block definitiv am besten gemeistert. Vor dem Eingang der Grotten verbrachten wir eine herrliche Nacht zwischen den Sanddünen.

Am nächsten Morgen standen wir Punkt 12:00 Uhr vor der Kasse. Für 100 Yuan kann man fast alle Grotten besichtigen und kriegt sogar noch eine Führung dazu. Unsere hübsche Führerin sprach sogar Deutsch und gab sich viel Mühe unsere Fragen zu beantworten.

Die Mogao- Grotten (Mogao Ku) sind, einfach ausgedrückt, eine der grössten Ansammlungen buddhistischer Kunst in der Welt. Zu ihrer Blütezeit beherbergte die Anlage 18 Klöster, über 1’400 Mönche und Nonnen sowie zahllose Künstler, Übersetzer und Kalligrafen. Wohlhabende Händler und wichtige Würdenträger waren die wichtigsten Geldgeber für den Ausbau neuer Höhlen, da Karawanen lange Umwege über Mogao machten, um zu beten oder für eine sichere Reise durch das verräterische Ödland im Westen zu danken.
Als Baujahr der ersten Grotte wird offiziell das Jahr 366 n.Chr. genannt. Nach dem Zusammenbruch des Handels entlang der Seidenstrasse nach dem Ende der Yuan- Dynastie lag diese endlose Kette von Grotten- die sich über 1’700 m eine Canyonwand entlang zieht und Kunstwerke aus über einem Jahrtausend enthält- viele Jahrhunderte vergessen in dem immer näher kommenden Sand der Wüste Gobi. Erst Anfang des 20. Jhs. wurde diese Kunstschatzkammer von einigen ausländischen Forschern „wiederentdeckt“.

Westliche Imperialisten plünderten oder zerstörten viele chinesische Kulturschätze auf der Seidenstrasse. Ganz oben auf der Liste der Verbrechen steht die Bibliothekshöhle (Nr.17) von Dunhuang, wo im Jahre 1900 der selbsternannte Wächter Wang Yuanlu eine verborgene Bibliothek fand, die mit Zehntausenden von tadellos erhaltenen Manuskripten und Gemälden gefüllt war, die bis ins Jahr 406 n.Chr. zurückreichten. Der genaue Umfang des Funds lässt sich kaum abschätzen, aber der kleine Raum war voll mit Texten in seltenen zentralasiatischen Sprachen, mit militärischen Berichten, Partituren, Arztrezepten, konfuzianischen und taostischen Klassikern und buddhistischen Sutras, die von einigen der grössten Namen der chinesischen Kalligrafie geschrieben worden waren- ganz zu schweigen von dem ältesten gedruckten Buch der Welt, dem Diamantsutra (868 n. Chr.). Kurzum, es war eine unbeschreibliche Menge an Primärquellen zur chinesischen, zentralasiatischen und buddhistischen Geschichte. Es war allerdings umstritten, wem dieser Fund gehören sollte.

Sieben Jahre nach der Entdeckung gelangt es den rivalisierenden Archäologen Aurel Stein und Paul Pelliot- nur zwei der zahlreichen europäischen Abenteurer, die zentralasiatische buddhistische Kunst von der alten Seidenstrasse wegschleppten- gemeinsam fast 20’000 der unbezahlbaren Manuskripte an sich zu bringen und nach England bzw. Frankreich zu schmuggeln. Die Fürsprecher der beiden verweisen heute auf die umfassende Zerstörung von Kulturgütern während der Kulturrevolution und die Verunstaltung buddhistischer Kunstwerke durch muslimische Bilderstürmer. Was das Fass für die Chinesen dann aber wirklich zum Überlaufen bringt, ist die Summe, die die beiden Wang Yuanlu für ihre Beute „spendeten“: insgesamt den armseligen Betrag von umgerechnet 330 Euro. Auch die russische Armee, die sich hier einquartierte, zerstörte viele Wandmalereien.

Mehrere Dynastien haben unterschiedliche Grotten gebaut, die sich markant unterscheiden. Die frühesten Grotten sind die nördlichen Wei-, westlichen Wei- und die nördlichen Zhou- Grotten und vom Stil und der Ikonographie her eindeutig indisch geprägt. Alle enthalten einen Mittelpfeiler, der einen Stupa darstellt (der symbolisch die Asche des Buddha enthält) und den die Frommen betend umrundeten. Die Männer laufen dabei immer von der linken Seite her um den Stupa und die Frauen von der rechten Seite. Die Farben gewann man aus Malachit (grün), Zinnober (rot) und Lapislazuli (blau), kostspielige Mineralien, die aus Zentralasien importiert wurden. Im Kern der Figuren wurde Holz verwendet und dieses mit Schilf und Lehm eingekleidet. Meistens wurde auch die Asche der Mönche in die Figuren eingebaut.

Danach kamen die Sui- Grotten. Die Sui- Dynastie (581-618 n. Chr.) entstand, als ein General chinesischer oder gemischter chinesischer und Touba- Abstammung den Thron der Nördlichen- Zhou- Dynastie an sich riss und Nord- und Südchina zum ersten mal nach 360 Jahren wiedervereinte. Die Sui- Dynastie war von kurzer Dauer und eher ein Übergang zwischen der Wei- und der Tang- Periode. Dies zeigt sich an den Sui- Grotten: die indischen Rundungen der Buddha- und Bodhisattvafiguren weichen allmählich dem strengerem Stil der chinesischen Bildhauerei.

Während der Tang- Dynastie (618-907 n. Chr.) verschob China seine Grenzen in westlicher Richtung bis hin zum Balkasch See im heutigen Kasachstan. Der Handel expandierte. Dies war der Höhepunkt der Höhlenkunst in Mogao. Die Techniken der Malerei und Bildhauerei wurden wesentlich kunstvoller. Die schönen Wandgemälde stellen das buddhistische westliche Paradies dar und zeigen seltene Einsichten in das höfische Leben, die Musik, Kleidung und Architektur der Tang- Dynastie in China. Leider war es nicht gestattet, auf dem gesamten Areal Bilder zu schiessen. Einzig die Höhle 96 kann von Aussen fotografiert werden.

Danach kam die Schnellstraße mit der Autobahn zusammen. Für Radfahrer ist es nicht gestattet darauf zu fahren. Die Nebenstrasse ist nur einspurig gebaut und in einem relativ schlechten Zustand. Zudem herrschte Anfangs ein relativ starker Verkehr. Es ist nicht gerade angenehm, wenn ein Laster mit Hochgeschwindigkeit an einem vorbei fährt. Ihre Fahrzeuge beherrschen die lieben Chinesen definitiv ziemlich schlecht.

Unser Proviant ging erneut langsam zu Ende. Dafür war der Wind zum ersten Mal seit 2’000 Kilometern auf unserer Seite und blies uns an diesem Tag schön in den Rücken. So gelang uns ein neuer Tagesrekord von 120 Kilometer. Es war bereits am dämmern, als wir unsere Zelte aufstellten und Nudelsuppe kochten. Ohne Frühstück ging die Fahrt weiter am nächsten Tag. Nach 5 Kilometern tauchte zum Glück bereits die erste Tankstelle auf. Wir stillten unsere Bedürfnisse, spielten Yatzi und schauten den riesigen Lastwagen zu. Diese haben teilweise enorme Ausmaße.

Etwa 30 Kilometer später tauchte erneut eine Tankstelle auf. Diese sind mittlerweile zu unseren Oasen geworden. Man findet dort einfach alles, was ein Velofahrer braucht. Bis Yumenshe waren noch 50 Kilometer angegeben. Die Aussicht dort ein warmes Nachtessen in einem Restaurant zu kriegen gab uns die nötige Kraft und Motivation dorthin zu gelangen.

Andi hat eine Kollegin, die angeblich in Yumen Englisch unterrichtet. Wir wollen sie dort besuchen. Zum guten Glück schrieb sie an diesem Tag Andi ein SMS, dass sie in Yumenshe zu Hause ist. Wir freuten uns alle, an diesem Tag den Abend in einem warmen Bett ausklingen zu können. Jenny begrüsste uns gleich mit ihren Kolleginnen, zeigte uns ein Hotel, führte uns in ein leckeres Lokal zum Essen und anschliessend gab es noch Karaoke. Eine tolle Begrüssung!
Das Karaokesingen ist nicht so mein Ding und so war ich bald zurück im Hotel. Dort wartete bereits die Hotelmanagerin auf uns. Sie teilte mir mit, dass sie keine Ausländer beherbergen dürfen und wir deshalb ins doppelt so teure Yumen Hotel wechseln sollten. Genau um 1:00 Uhr am Morgen. Es fällt einem nicht immer leicht, in solchen Momenten die Ruhe zu bewahren. Wenigstens durften wir die Nacht noch bleiben. Das chinesische Tourismussystem befindet sich definitiv noch in der Steinzeit. Tim und Andi brachten später noch einen betrunkenen Chinesen von der Karaoke Bar mit, der sich nicht abwimmeln lies. Erst als Tim mit der Bratpfanne in der Hand drohend vor ihm stand, zog dieser von dannen.

Am nächsten Tag wechselten wir dann frustriert das Hotel, welches sich komplett am anderen Ende der Stadt befindet. Yumen lag früher eigentlich 150 Kilometer weiter südöstlich wurde aber vor wenigen Jahren hierhin umgesiedelt. So besteht die Stadt mittlerweile aus einem Neuen und Alten Stadtteil. In China ist alles möglich. Die Stadt hat drei verschiedene Schulen. Jenny ist die erste ausländische Lehrerin überhaupt, die an der ersten Schule unterrichtet. Neben ihr gibt es auf den anderen Schulen noch weitere ausländische Lehrerinnen, die ebenfalls Englisch unterrichten. Insgesamt arbeiten mehrere Lehrpersonen aus verschiedensten Ländern in der ganzen Provinz Gansu.

An diesem Samstag kamen einige von ihnen aus Jiayuguan zu besuch. Wir gingen alle zusammen Hot Pot essen. Das ganze kann man ein wenig mit dem Fondue Chinoise vergleichen. Verschiedenste Zutaten werden in einen riesigen Topf geworfen, der eine scharfe und eine Bouillon ähnliche Abteilung hat. Wir waren insgesamt 10 Ausländer/innen. Das Personal hatte richtig Freude an uns komischen Fritzen. So viele weisse Europäer sieht man hier nicht jeden Tag. Da es nicht sehr viel Sehenswertes gibt in „New Yumen“ genossen wir die ersten zwei Tage einfach mal nichts zu tun und die beiden Supermärkte auszukundschaften.

Jenny zeigte uns am Montag ihre Schule. Eine Klasse besteht meistens aus 40- 60 Schülern. Überall im Schulhaus hängen Slogans auf Englisch und Chinesisch.

Jenny hat ihr eigenes Büro und wohnt mit ein paar anderen Lehrern an der Schule. Die Schüler kommen teilweise von weit her und leben deshalb unter der Woche an der Schule. Da viele Eltern als Wanderarbeiter tätig sind beaufsichtigen meistens die Grosseltern den Nachwuchs. Dadurch bleibt die Erziehung eigentlich an der Schule hängen, was bei solch riesigen Klassen enorm schwierig ist. Unterschiedliche Niveauklassen wie bei uns gibt es nicht. Wodurch die Klassen für die gesamte Schulzeit zusammeb bleiben.

Heilpädagogische Schulen, Sozial- oder Schulpsychologische Dienste existieren gar nicht. Es wird sehr viel auf Disziplin geachtet. Andere Länder, andere Sitten. Englisch zählt nicht zu den Pflichtfächern und keine Prüfungen finden in diesem Fach statt. Das macht die Arbeit für Jenny nicht immer ganz einfach. Sie lud uns ein, am nächsten Tag unsere Bilder vorzustellen während dem Unterricht.
Der Schulleiter gab sein Einverständnis. Lily, eine Lehrer Kollegin von Jenny aus Singapur, lud uns am Abend noch zum Essen bei ihr zu Hause ein. Sie hat lange Zeit als Lehrerin in Osttimor gearbeitet und dort mitgeholfen, einen Kindergarten aufzubauen und Lehrpersonen auszubilden. Ihre Bilder und Geschichten waren enorm beeindruckend. Mit vollbepacktem Velo ging es am Dienstag zur Schule. Über Mittag essen einige der Lehrer/innen jeweils zusammen. Ihre Köchin fühlte sich richtig geehrt, dass sie für uns kochen konnte.

Ein solch leckeres Essen hatte ich schon lange nicht mehr. Die Köchin hat selbst 20 Jahre als Lehrerin gearbeitet, musste dann als Mutter aber auf dem Feld arbeiten und wäre jetzt langsam im Pensionsalter. Da es in China jedoch kein Rentengeld gibt, hält sie sich mit diesem Job über Wasser. Sie verdient damit 200 Yuan pro Monat und schaut nebenbei noch für den Haushalt und das Enkelkind. Eine bewundernswerte Frau.
Unsere Präsenz hatte sich wie ein Lauffeuer im Schulhaus ausgebreitet. Jenny stellte uns im Lehrerzimmer zuerst ihren Kolleg/innen vor. Diese begrüssten uns sehr herzlich. Nicht alle konnten Englisch zeigten aber trotzdem grosses Interesse. Neben den etwa 40 Schülern hatten wir dann schlussendlich noch ein halbes Dutzend Lehrpersonen inklusive Kameramann als Publikum.

Die Begeisterung über die drei weissen Spinner aus der Schweiz war so gross, dass uns sämtliche Lehrer in ihre Klassen einladen wollten. Wir entschlossen uns, dass wir jeden Tag eine Präsentation machen. Zu viel Arbeit ist ungesund. Bei Jenny durften wir zudem im Unterricht zuschauen. Eine Klasse von 40 Teenagern zu unterrichten ist definitiv keine einfache Sache. Jenny meistert das aber exzellent.

Am Donnerstag hatten wir unseren bis dahin grössten Auftritt. In einer grossen Halle hielten wir unseren Vortrag vor drei Klassen. Rund 100 Schülern.

Tim und Andi sangen am Schluss sogar noch ein englisches Lied. Zuvor spielten wir auf dem Pausenplatz noch eine Runde Ping Pong. Ein Lehrer und zwei Schüler forderten uns zum Duell heraus. Ping Pong gehört in China zur Nationalsportart, wodurch ziemlich jeder das Spiel beherrscht. Wir scheiterten kläglich. Nur Andi konnte zeitweise dem Druck standhalten. Am Abend nutzten wir jeweils die Gelegenheit die Küche benutzen zu können. So kochte Andi am ersten Abend Schupfnudeln mit Rotkraut.

Eine Wohltat. Am zweiten Abend gab es Ratatouille. Richtig schön, mal wieder heimatähnliches Essen zwischen die Zähne zu kriegen. Die Nächte wurden auch hier immer eisig kalt. Der See hinter unserem Hotel begann schon leicht zu frieren.

Ausländer sind hier eine ziemliche Seltenheit. Selbst Jenny wird immer noch wie ein Alien betrachtet, wenn sie manchmal unterwegs ist. Mittlerweile habe ich mich schon ein wenig an die Blicke gewöhnt. Die Chinesen finden es meistens extrem amüsant, wenn man versucht sich mit ihnen zu unterhalten oder ihre Fragen beantwortet. Ein aufgestelltes Volk. Da darf man sich auch ab und zu wie ein Alien benehmen. Am Freitag fuhr Tim bereits weiter nach Jiayuguan, während Andi und ich nochmals eine Präsentation vor drei Klassen machten.

Danach wurden wir zum Basketball Spiel aufgefordert. Zwei weitere Lehrer unterstützten uns im harten Kampf gegen die Schüler. Das halbe Schulhaus schaute dabei zu. Danach nahmen wir mit Nina zusammen den Bus nach Jiayuguan in den wohlverdienten Wochenendurlaub.

Jiayuguan ist eine der wichtigsten Punkte der Seidenstrasse. Nach dem Bau einer Festung durch die Ming- Dynastie im Jahre 1372 wurde Jiayguan umgangssprachlich auch als der „Mund“ Chinas bezeichnet, während der schmale Hexi- Korridor, der zu den hinteren neidi (Binnenland) führt, als die „Kehle“ tituliert wurde. Selbst heutzutage ist diese Metapher noch in der chinesischen Psyche verankert und Jiayuguan markiert immer noch das symbolische Ende der Grossen Mauer, das westliche Tor zum eigentlichen China und für imperial eingestellte Chinesen, den Beginn des Nichts.

Die Jiayuguan- Festung überwacht den Pass, der zwischen den Gipfel des Qilian Shan und Hei Shan (Schwarze Berge) des Mazong- Shan- Gebirgszugs verläuft. Erbaut im Jahre 1372, erhielt das Fort den Namen “ Erste starke Festung unter dem Himmel“. Obwohl die Chinesen oft ein Territorium weit über die Gegend von Jiayuguan hinaus kontrollierten, war dies das letzte Bollwerk des imperialen Chinas- das Ende der „zivilisierten Welt“, jenseits davon gab es nur Wüstendämonen und die barbarischen Armeen Zentralasiens. Am östlichen Ende der Festung liegt das Tor der Erleuchtung (Guanghua Men) und im Westen das Tor der Versöhnung (Rouyuan Men), von wo aus ins Exil verbannte Dichter, Minister, Kriminelle und Soldaten ins Vergessen losrissen.

Die hängende Mauer verläuft nördlich von Jiayuguan. Dieser Abschnitt wurde vermutlich im Jahre 1539 errichtet, die heute zu sehende Rekonstruktion stammt aber aus dem Jahre 1987.
Die hängende Mauer besichtigten wir am Samstag. Ziemlich imposant, das erste Mal einen Abschnitt der chinesischen Mauer zu sehen. Besonders wenn man sich vorstellt, dass die Mauer einst von hier bis fast nach Shanghai reichte.

In der Nacht schneite es. Langsam kommt definitiv der Winter.
Die Jiayuguan- Festung folgte am Sonntag. Jenny musste für uns, wie schon die ganze Woche, ständig übersetzen. Ich war ziemlich beeindruckt von der Festung.

In der Realität fühlt man sich in den Bauten wie in eine andere Zeit versetzt. Die chinesischen Touristen wollten ständig Bilder mit uns machen. So seltene Vögel sieht man schliesslich nicht jeden Tag. Nach einer Weile wurde uns ziemlich kalt. Im Souvenir Shop wärmten wir uns bei Käse und Brot auf. Nina und Jenny haben diese Raritäten von einem Lehrerkollegen aus der Inneren Mongolei bekommen. Wenn man seit Monaten keinen richtigen Käse mehr im Gaumen hatte, fühlt sich ein solcher Moment einfach megagigageil an. Die Angestellten brachten uns sogar noch Grüntee vorbei. Da Tim von nun an alleine weiter fährt und Jenny und Nina wieder am Montag unterrichten mussten, gingen wir nochmals ins Teehaus zum „Mo- shi“ (eine lokale Süssigkeit) essen und Tee schlürfen.

Andi und ich blieben noch um den letzten Abend im Trio zu zelebrieren. Ohne Frauen! Mein Visa war nur noch zwei Tage gültig und so ging ich am nächsten Tag, nachdem ich mich von Tim verabschiedet hatte, aufs Visa Büro. Die Dame am Schalter war äusserst freundlich und hilfsbereit. Eigentlich sollte das Visa erst am nächsten Tag bereit sein. Ich konnte ihr jedoch verständlich machen, dass ich es bereits am selben Tag noch benötige. Eine Stunde später lief ich mit einem neuen 30 Tage Visa aus dem Büro. Das nenne ich speditiv! Nach zwei Runden Billiard fuhren Andi und ich mit dem Bus zurück nach Jumenshe. Dort gab es zuerst eine Portion Jause.

Die gefüllten Teigtaschen kriegt man in verschiedensten Variationen und schmecken himmlisch. Besonders frittiert. Am Dienstag lud uns die Schule als Dankeschön zu einem Bankett mit dem Schuldirektor und den Englischlehrern ein. Bei den Chinesen gibt es ganz spezielle Traditionen an einem Bankett. Der Gastgeber versucht mehr zu servieren als der Gast essen kann. Leer gegessene Schalen lassen den Gastgeber knausrig erscheinen. Kein Gast trinkt allein, getrunken wird nur nach einem Trinkspruch. Beim Trinkspruch fast man das Glas mit beiden Händen an, weist in Richtung des Gastgebers und ganbei (trocknet das Glas). Ein solch riesiges Festessen habe ich noch selten gesehen. Dank Jennys Übersetzung konnten wir spannende Diskussionen führen. So wollten sie von uns genau wissen, was wir über China wissen und welche chinesischen Prominenten man in Europa kennt. Uns nahm natürlich auch wunder, was für Kenntnisse sie von der Schweiz haben. Immer wieder folgten Trinksprüche mit grossen Danksagungen für unser Engagement.

Als wir ein paar Euro- und Dollar Scheine zeigten, waren sie total verblüfft. Sie haben noch nie fremde Geldwährung in Original gesehen. Für mich war es ein wunderschöner und interessanter Abend, den ich in guter Erinnerung behalten werde.

Jenny wurde am nächsten Tag von einer Erkältung heimgesucht. Die Tageshöchsttemperatur betrug -2 Grad. Irgendwie fällt es einem schwierig bei solchen Aussichten wieder aufs Velo zu steigen. Im Iran war es irgendwann zu heiss und nun zu kalt. Wenn man nur das Wetter steuern könnte. Jenny wurde von ihren Lehrerkolleginnen gut umsorgt. Andi und ich lieferten die blöden Sprüche dazu. Mit Humor wird man am schnellsten wieder gesund. Ich beschloss, noch einen weiteren Tag zu bleiben und am Freitag weiter zu fahren. Die Köchin an der Schule zauberte mir nochmals ein köstliches Nachtessen zum Abschluss auf den Tisch. Danach hiess es für einmal mehr: Abschied nehmen. Nicht nur von Jenny und ihrer Schule, sondern auch von Andi. Vielen Dank Jenny für die tolle Zeit in Yumenshe. Es hät gfägt! Andi und Tim wünsche ich an dieser Stelle auch eine gute Weiterreise. Passt auf euch auf und denkt daran: „Sometimes you have to suffer!“. Als ehrlicher Verlierer gratuliere ich Andi zu seinem Gesamtsieg im Yatzi spielen.

Pünktlich zum Sonnenaufgang fuhr ich gegen 9:00 Uhr los. Der Gegenwind war eisig kalt und schon nach wenigen Kilometern fror ich am ganzen Körper. Kein Wunder stehen rund um Yumenshe Windkraftwerke.

Schon nach kurzer Zeit hatte ich einen Entschluss gefasst: bei dieser Kälte wollte ich die Nacht nicht im Freien verbringen. Jiayuguan, die nächstgelegene Ortschaft, lag 120 Kilometer entfernt. Mit ein bisschen Glück könnte ich es schaffen. Jedoch merkte ich bald, dass zehn Tage Pause, schlechte Strassenverhältnisse und starker Gegenwind nicht gerade optimale Indikatoren sind um eine solche Tat zu vollbringen. Als um 18:00 Uhr die Sonne langsam unterging war ich noch knapp 20 Kilometer von Jiayuguan entfernt. Ich sass bereits über 8 Stunden im Sattel und hatte, ausser ein paar Snickers, noch nichts gegessen. Das Wasser war bereits schon 2 Stunden nach der Abfahrt komplett gefroren. Sogar in der Thermosflasche.

Zum Glück hielt schon beim ersten Versuch ein Jeep und nahm mich mit. Die warme Dusche und der heisse Tee im Hotel fühlten sich wie eine Wiedergeburt an. Die Empfangsdame an der Reception erklärte mir zudem, dass heute die Tageshöchsttemperatur bei -5 Grad lag und es in der Nacht -22 Grad kalt werden sollte. Noch in der selben Nacht, stellte ich mir einen Fluchtplan zusammen. Am nächsten Morgen kaufte ich ein Zugticket nach Xi’an. Erfuhr jedoch, dass der nächste Zug erst in 2 Tagen fährt. So hatte ich noch ein wenig Zeit alles transportfähig zu machen. Im Hartschläfer ging es am Montag in 20 Stunden Zugfahrt nach I’an.

Die Distanzen in China sind enorm und der Zug stellt das optimale Reisemittel dar. Jenny schwärmte schon fast bei ihren Erzählungen über ihre Zugreisen in China. Es hat durchaus seinen Charm. Langweilig wurde es mir nie bei der langen Fahrt. Entweder schlürft man seine Nudelsuppe, knabbert an einem Hühnerbein oder unterhält sich mit den anderen Fahrgästen. Zudem ertönt permanent melancholische, chinesische Opernmusik. Mit der Zeit wird man schon fast depressiv bei dem ewigen Klavierspiel. Wenigstens am Morgen könnten sie einem mit etwas heiterer Musik wecken. In Xi’an verlud ich mein Gepäck gleich auf den nächsten Zug und fuhr nochmals 29 Stunden weiter Richtung Südküste.

Angeblich sollen die Temperaturen besser sein im Süden. Gegen Mitternacht stand ich im Pullover und mit Velo in Guangzhou. Nach ein paar Stunden Schlaf im Park quartierte ich mich am nächsten Tag in der Jugendherberge ein und ging auf Entdeckungstour.

So viele Wolkenkratzer auf einem Haufen habe ich noch nie gesehen. Der Prime Tower in Zürich wirkt im Verhältnis zu diesen Giganten winzig klein. Wahrscheinlich lautet die Devise: grosse Stadt = grosse Hochhäuser, kleine Stadt = kleine Hochhäuser. Ich habe den Dezember zu meinem „velofreien“ Monat erklärt. Jeder braucht mal ein wenig Erholung. Ich bleibe jetzt noch ein paar Tage in Guangzhou und fahre dann mit dem Zug nach Hong Kong. Dort kommt mich meine Familie besuchen und es ist einmal wieder Zeit, sich um die lieben Visa zu kümmern. Euch allen wünsche ich ganz schöne und fröhliche Festtage. Bis im nächsten Jahr!