China Teil 1, Xi’an- Beijing

China Teil 1, Xi’an- Beijing


Nach drei erholsamen Tagen in Xi’an begann meine zweite Etappe in China. Innerhalb der chinesischen Städte ist Velofahren prima. Es bestehen grosse Velowege, da meistens sämtliche Ware mit Zweirädern transportiert werden. Nicht nur klimatechnisch, sondern auch Verkehrsmässig war hier ein deutlicher Unterschied zu spüren. Auch hier im Norden Chinas steigt das Quecksilber im Verlaufe des Tages ziemlich hoch. Jedoch ist es hier um einiges trockener als im tropischen Süden.

Durch die schnelle Abkürzung mit dem Zug, musste sich mein Körper ziemlich bald umstellen. In den Tropen war mein ganzer Organismus 24 Stunden lang auf schwitzen programmiert. Jetzt gab es plötzlich kühle Nächte und angenehmen Fahrtwind am Morgen. Mein Wasserverbrauch reduzierte sich beinahe auf die Hälfte. Nur noch 4-5 Liter am Tag.

Zwei Drittel von Chinas Landfläche sind de facto nicht bewohnbar, da dieses Gebiet hauptsächlich aus Wüste und Hochgebirge besteht (Taklamakan- und Gobiwüste und Himalaya Gebirge). So konzentriert sich der grösste Teil der 1.3 Milliarden Einwohner auf den restlichen Drittel des Landes. Das Verkehrsaufkommen bei einer dermassen dichten Besiedelung ist enorm und für Velofahrer nicht immer ein freudiges Erlebnis. Besonders die Lastwagen- und Busfahrer sind meine allergrößten Feinde. Das ständige Hupkonzert ist hier noch unerträglicher als in Südostasien. Dem Erfinder der Hupe würde ich sehr gerne mal meine Meinung sagen! Vielleicht werden bei den chinesischen Fahrzeugen ja auch das Gaspedal gleich mit der Hupe verkoppelt?

Landschaftlich ging es die ersten paar Tage durch ein ziemlich hügeliges Gebiet. Ein wenig wie Velofahren im Jura. Lehm wird hier im grossen Stil abgebaut, verarbeitet und in hübschen, kleinen Traktoren zu den Lieferanten verteilt. Durch die schwere Last fuhren die Traktoren ziemlich langsam, so konnte ich mich jeweils hinter einem der Dinger verstecken und hatte dadurch den besten Windschutz, welcher ein Velofahrer sich wünschen kann.

Auch buddhistische Pilger zogen regelmässig vorbei. Den gesamten persönlichen Besitz stossen sie auf kleinen Wagen vor sich her. An den Knien tragen sie teilweise riesige Polster, damit sie sich nach fast jedem Schritt auf den Boden knien können. Bereits im Iran hatte ich die dortigen muslimischen Pilger bewundert. Es ist immer wieder eindrücklich zu sehen, was ein Glaube in den Menschen bewirken kann.

Zeltplätze findet man meistens relativ leicht. Die Einheimischen waren äusserst zurückhaltend, wodurch ich meistens am Abend in aller Ruhe den Feierabend geniessen konnte. Selbst die Beschilderung konnte man teilweise auch ohne zweisprachige Strassenkarten lesen.

Eines der grössten Probleme stellte für mich die starke Luftverschmutzung in Kombination mit dem Pollenflug dar. Momentan ist die Getreideernte in vollem Gange wodurch mein Heuschnupfen sich ziemlich stark bemerkbar machte. Die Abgase strömen in riesigen, schwarzen Wolken ungefiltert aus den Abgasrohren. Mit der Zeit war meine ganze Haut mit einer schwarzen Schicht überzogen.

Auf den grossen Hauptstrassen gab es immer wieder Tankstellen mit Shops. Für mich die ideale Möglichkeit um zwischendurch eine kurze Pause zu machen. Die Mitarbeiter dort versuchten öfters mit mir zu kommunizieren. Leider sind ihre Englischkenntnisse etwa so gut wie meine Chinesischen. Ein Gespräch läuft in etwa folgendermassen ab:
Chinese: 应用方面?
Ich: „Ich bin aus der Schweiz. Kennst du dieses Land?“
Chinese: 你去哪儿?
Ich: „Ich fahre von der Schweiz nach Beijing.“
Chinese: „Beijing?“
Ich: „Jawohl, nach Beijing und dann mit dem Flugi zurück nach Europa.“
Chinese: 为什么 Beijing 何以.
Ich: „Genau, seit 15 Monate bin ich jetzt unterwegs.“
usw.

In Kunming hatte ich mir eine Leuchtweste gekauft um in den Tunnels und bei starkem Verkehr besser gesehen zu werden. Man sieht zwar aus wie ein Christbaum, fühlt sich aber irgendwie ein wenig sicherer damit. Zudem sorge ich damit bei den Chinesen immer für einen kurzen Lacher.

In Sachen Sauberkeit ist China nicht gerade ein Musterbeispiel. Auf den ersten Blick sieht vieles ziemlich sauber aus. Bei genauer Betrachtung stellt man jedoch beträchtliche Mängel fest. Auch mein Pneu am Hinterrad hatte einige unangenehme Erfahrungen mit den schmutzigen Strassen. Genau 20 Kilometer vor Pingyao durchbohrte ein Draht den Mantel. Zum Glück passierte dies genau vor einer Tankstelle. Die Angestellten halfen mir den Platten möglichst schnell zu reparieren. Obwohl der liebe Gegenwind sich immer wieder bemerkbar machte, kam ich ziemlich gut vorwärts und erreichte nach 5Tage Pingyao.

Nach mehreren Namenswechseln während der Qin und Han Zeit, erhielt die Stadt im Jahr 424 n.Chr. unter der Herrschaft der nördlichen Wei ihren endgültigen Namen Pingyao, den sie bis heute behalten hat. Seit der Einteilung Chinas in 36 Landkreise unter der Herrschaft des ersten Kaisers Qin Shi Huang Di im Jahr 221 vor Christus ist Pingyao auch Bezirkshauptstadt des gleichnamigen Bezirks. 1370, unter der Herrschaft des Ming-Kaisers Hongwu, wurde die Stadt wesentlich erweitert und die nun größere Stadtbefestigung als Mauer mit Erdkern errichtet. Seitdem entwickelte sich Pingyao durch die gesamte Zeit der Ming und Qing Dynastien zu einem Finanzzentrum Chinas und beherrschte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den chinesischen Finanzsektor.

Durch den Aufstieg der chinesischen Küstenstädte im Zuge der wirtschaftlichen Einflussnahme der westlichen Kolonialmächte verlor Pingyao aber Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts seine Bedeutung insbesondere an Hongkong und Shanghai und erholte sich von diesem Bedeutungsverlust bis heute nicht. Durch die dadurch fehlende Finanzkraft und Bedeutung wurde Pingyao aber weitgehend von den Zerstörungen durch Modernisierung und Kulturrevolution verschont und konnte so seine historisch gewachsene Altstadt erhalten. Pingyao besitzt heute die längste vollständig erhaltene mingzeitliche Stadtmauer Chinas, die seit 1988 auf der Liste der Denkmäler der Volksrepublik China steht, und weist noch eine Vielzahl historischer Hofhäuser auf. 1997 wurde Pingyao in das UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen.

Die Dusche im Guesthouse war traumhaft. Am Abend wollte ich in der Stadt etwas für mein Abendessen einkaufen. Vor dem ersten Laden standen sieben Teenagers, die anscheinend ziemlich gelangweilt waren. Als ich den Shop betrat folgten sie mir und versuchten zuerst auf Englisch mit mir zu kommunizieren. Irgendwann wurde mir das Theater zu blöde und ich versuchte zurück ins Guesthouse zu kommen. Die Jungs folgten mir mit ihren Elektrovelos, riefen immer wieder „Fuck You“ und warfen mit Steinen. Keiner der Passanten versuchte mir zu helfen. Nachdem zwei von ihnen mich noch bespuckten war meine Geduld vorbei. Ich packte einen der Jungs am Kragen, riss ihn von seinem Velo runter und nahm ihn in den Würgegriff. Auf Schweizerdeutsch erklärte ich ihm dann, dass er sich verziehen soll. Keiner seiner Freunde kam ihm dabei zur Hilfe. Alle versteckten sich in sichrem Abstand und die Passanten schauten verwundert zu. Der Junge schien mich verstanden zu haben und machte sich ziemlich schnell auf den Heimweg. Dieses Erlebnis zeigte mir wieder einmal, dass man auch in Asien nicht immer mit Zivilcourage rechnen kann.

Im Guesthouse lernte ich eine 68- jährige Inderin kennen, die seit 30 Jahren in den USA lebt und momentan als Backpackerin alleine durch China reist. Sie lud mich zum Abendessen ein und erzählte mir ein paar eindrückliche Storys aus ihrem Leben. So konnte ich ein wenig mein negatives Erlebnis verdauen.

Die nächsten drei Tage verbrachte ich hauptsächlich mit faulenzen und langen Spaziergängen durch die Altstadt. Man kann sich zwar für 120 RMB (20.- CHF) ein Kollektivticket für alle Sehenswürdigkeiten besorgen, jedoch habe ich langsam die Schnauze gestrichen voll von diesem kapitalistischem, geldgierigen Getue der lieben Chinesen. Man zahlt immer viel Geld und darf am Schluss nicht einmal fotografieren. Besonders der Stadtturm und die Stadtmauern waren eindrücklich und sehr schön von der UNESCO restauriert.

Mein Seidenschlafsack und meine Hosen hatten mal wieder eine Reparatur nötig. Nach einer Weile fand ich einen Stoffladen mit einer Nähmaschine. Die nette Dame nähte mir den Schlafsack umsonst und ihr man fuhr mit mir durch die halbe Stadt um mir ein Geschäft zu zeigen, wo ich meinen Reissverschluss für die Hosen reparieren konnte.

Am Sonntag, nach drei erholsamen Tagen, ging die Reise weiter. Die Provinz Shanxi produziert etwa ein Drittel von Chinas Kohleausstoss. Die über 3’000 Kohleminen sind in dieser Provinz für die starke Luftverschmutzung verantwortlich. Beim Velofahren spürte ich dies immer wieder. Man muss ständig husten und sich den Mund zuhalten. Als Asthmatiker hatte ich besonders mühe damit.

Momentan wird hier auch in grossem Stil Getreide geerntet und mein Heuschnupfen konnte sich voll auf entfalten. Zum Glück ist lautes spucken und niesen in China normal. Es kümmert keinen Mensch, wenn man seine Körperflüssigkeiten lauthals in der Öffentlichkeit verteilt. Die ersten drei Tage im Sattel waren besonders schön.

Bis Jinzhong folgte ich zuerst dem Wutai Shan Gebirge bevor ich dann in westlicher Richtung den Gebirgszug durchquerte. Wutai Shan oder das „Gebirge der Fünf Terrassen“ ist die heilige nördliche Gebirgskette des Buddhismus und der irdische Wohnort Manjusris, dem Bodhisattva der Weisheit. Besonders in den frühen Morgenstunden gab es einige traumhafte Kulissen zu bestaunen.

Zum Abschluss wurde ich mit einer 30 Kilometer langen Abfahrt belohnt. Schlagartig wurde es wieder wärmer. Bereits um 4:30 Uhr klingelte jeweils mein Wecker. Bis zum Mittag versuchte ich immer möglichst viel Kilometer zu bewältigen um die heissesten Stunden am Tag im Schatten verbringen zu können.

Am Mittwoch erreichte ich schlussendlich Shijiazhuang, die Hauptstadt der Hebei Provinz, 280 Kilometer südlich von Peking gelegen. Dort wollte ich mein Visa verlängern, welches nur noch 4 Tage gültig war. Im Visabüro gab es nur einen kleinen Tisch für Visa Angelegenheiten. Das machte mich bereits stutzig. Die Dame am Schalter verlangte von mir einen Kontoauszug von meinem Bankkonto, auf dem ich nachweisen konnte, dass mindestens 3’000 Dollar darauf vorhanden sind. Als ich sie nach dem Grund für dieses Formular fragte, meinte sie bloss, dass ihr Englisch nicht gut genug wäre mir dies zu erklären. Wütend knallte ich alles Bargeld das ich dabei hatte auf den Tisch um ihr klarzumachen, dass ich ihr keinen Kontoauszug vorweisen werde. Nachdem sie mit ihrem Chef telefoniert hatte, verlangte sie eine Provisorische Aufenthaltsbewilligung von meinem Hotel. Da ich erst gerade in der Stadt angekommen war, musste ich mich also in der grössten Hitze auf die Suche nach einer Unterkunft machen.

Und schon kam das nächste Problem: In China dürfen Ausländer nur in bestimmten Hotels übernachten und dort ist es nicht erlaubt, ausländischen Touristen die günstigen Zimmer zu geben. Dieses Fiasko hatte ich bereits letztes Jahr in Westchina erlebt. So kehrte ich am Nachmittag mit leeren Händen in das Visa Büro zurück. Ohne mit der Wimper zu zucken erklärte mir die Dame nun dass ich kein neues Visa hier bekomme und nach Peking radeln soll. Innerlich schäumte ich bereits vor Wut.

Erst nachdem ich ihr erklärte dass ich niemals rechtzeitig in Peking sein kann, schaute sie meinen Pass etwas genauer an und entdeckte einen wichtigen Punkt: Die Touristenvisas sind 30 Tage nach der Einreise gültig. Sie hatte sich am Morgen nicht einmal die Mühe gemacht mich auf dieses wichtige Detail aufmerksam zu machen. So war ein ganzer Tag umsonst verloren und ich hätte mir den ganzen Ärger ersparen können. In diesem Moment war ich nahe dran, diese inkompetente Dame in Stücke zu zerreissen. Jedoch konnte ich mich soweit noch beherrschen, das Büro und die Stadt möglichst schnell zu verlassen.

Letztes Jahr verlängerte ich mein Visa in der Gansu Provinz ohne grossen Aufwand innerhalb von zwei Stunden. Die lieben Kommunisten scheinen immer dreister zu werden. Zum Glück bot ein Bauer mir am Abend auf seinem Feld einen Zeltplatz inklusive Wasser an und ich konnte einen traumhaften Sonnenuntergang geniessen.

Um nicht allzu früh in Peking zu sein, nahm ich die letzten Kilometer auf dem Asiatischen Kontinent ganz gemütlich in Angriff. Die Nationalstrasse G107 verbindet Shijiazhuang mit Peking. Immer wieder begegneten mir chinesische Velofahrer, die ebenfalls in die Hauptstadt unterwegs sind. Einige von ihnen schenkten mir Wasser oder Esswaren und andere wiederum wünschten mir alles gute.

Mein vierter Platten auf der Reise war gleichzeitig der Kniffligste. Ein winzig kleiner Draht hatte sich in den Pneu gebohrt. Zuerst pumpte ich den Pneu auf und fuhr weiter.

Nach drei Stunden war die Luft wieder draussen. Ein Chinese, der als Barkeeper auf einem Kreuzfahrtschiff arbeitet, ziemlich gut Englisch sprach und gerade hier bei seinen Eltern auf besuch ist, kam mir zur Hilfe. Mit einer Beisszange gelang es uns nach mehreren Versuchen den Draht zu entfernen. Jedoch war es unmöglich das Loch im Schlauch ausfindig zu machen. So musste einer meiner Ersatzschläuche herhalten. Am Schluss bedankte ich mich für die Hilfe und machte mich auf die Suche nach dem letzten Zeltplatz vor Peking.

Neben den Sonnenuntergängen sah man auch immer wieder lustige Fahrzeuge auf den Strassen.

Am meisten nervte mich auf den Strassen die ewigen Hupkonzerte und das rücksichtslose Verhalten der Fahrer. Das Gaspedal scheint bei chinesischen Fahrzeugen direkt mit der Hupe verbunden zu sein und um einen Fahrzeugausweis zu bekommen, genügt es wahrscheinlich wenn man innerhalb von 10 Sekunden von 0 auf 100 beschleunigen kann. Jedenfalls war ich bei meiner Ankunft in Peking zutiefst erleichtert nicht mehr auf diesen Strassen fahren zu müssen.

Eigentlich wollte ich auf dem Tsianamen Platz ein Erinnerungsfoto machen. Dieser ist jedoch komplett abgeriegelt und von Soldaten bewacht. Die lieben Kommunisten scheinen sich ziemlich vor einem neuen Angriff von ihren Volksleuten zu fürchten. Nachdem ich vor dem gewaltigen Bild von Mao am Tor des Himmelsfrieden, wo Mao am 1. Oktober 1949 die Volksrepublik ausrief, ein Foto gemachte hatte und diesem Obertrottel die Zunge rausstreckte, auf die Suche nach einer Unterkunft machte musste ich immer wieder Fotos mit Chinesen machen. Diese waren hell begeistert von mir.

Am Montag Morgen machte ich mich dann auf den Weg zum Visa Büro. Am Schalter verlangte die Beamtin erneut einen Kontoauszug. Ich schleuderte ihr sämtliche Formulare auf den Tisch, als sie mir ebenfalls nicht den Grund dafür nennen konnte. Nach langem hin und her erklärte sie sich bereit, meinen Antrag anzunehmen, bis ich das Formular besorgt hatte. So musste ich wieder 1 Stunde zurück ins Hotel fahren und mein Formular über Internet besorgen. Als ich damit zurück auf das Visa Büro kam, welches mich an die Geschichte Momo von Michael Ende erinnerte mit den grauen Leuten, erfuhr ich dass erst in 7 Arbeitstagen mein Visa bereit wäre. Mit dem Wochenende eingerechnet bedeutete dies also 9 Tage in Peking zu warten. Wäre ich nicht in einer solch misslichen Lage gewesen, hätte ich China am liebsten noch am selben Tag sofort verlassen. Ich finde es eine elende Schweinerei, was sich diese scheiss Kommunisten erlauben. So behandelt man keine Gäste ihr Arschlöcher!

Meine Mutter entschloss sich mich zu besuchen um die Wartezeit ein wenig zu erleichtern. Da war meine Stimmung schon wieder ein wenig besser. Jetzt freue ich mich riesig auf ihren Besuch.