Masallah

Masallah


Eine Woche ist es her, seit ich in Diyarbakir losgefahren bin. Die letzten 7 Tage waren enorm erlebnisreich. Auch mit ein paar negativen Erfahrungen. Bereits beim verlassen der Stadt hatte meine neue Kette Mühe sich mit der Kassette zu versöhnen. Ständig trat ich ins leere. Plötzlich sah ich vor mir zwei kleine Punkte. Es waren ebenfalls zwei Tourenfahrer aus der Schweiz, Patric und Chantal lalibertederrance.blogspot.com. Die Beiden sind im August 2010 von Paris aus gestartet und in 9 Monaten durch Frankreich, Spanien, Marokko, Ägypten, Jordanien und die Türkei gefahren. Da sie auch Richtung Iran unterwegs sind, durfte ich mich ihnen anschliessen.

Zu Dritt ist die Hitze viel erträglicher und jeder findet ein wenig Mitleid. Sogar die Lastwagenfahrer hupten und winkten uns ständig zu. Chantal und Patric bevorzugen auch zu biwakieren. An einer Tankstelle durften wir unser Nachtlager aufschlagen. Die Kurden sind noch fast gastfreundlicher als der Rest des Landes. Immer wieder wird man zum Cay eingeladen. An der Tankstelle machte ein Basketball Team aus Jüksekova halt. Die Spieler sind alle körperlich behindert aber enorm lebensfreudig.

Für uns drei war dies ein prägendes und wunderschönes Erlebnis. Der Tankwart stellte uns seine ganze Familie vor und lud uns zum Nachtessen ein. Die nächsten Tage ging es permanent hoch, dann ein wenig runter und wieder sehr lange den Berg hoch. Dazu ratterte meine Kette ständig durch und die Sonne leistete auch noch ihren Beitrag. Das Leben ist manchmal enorm hart. Dafür war die Landschaft umso schöner.

Bei der Hitze fliesst der Schweiss in strömen. Da ist man um jede Tasse Cay dankbar. Meistens kommt das ganze Dorf. Wir sind eine richtige Attraktion. Es macht Spass sich mit den Leuten zu unterhalten. Viele Fragen ständig ob Patric mein Vater ist. Ich kann mich köstlich darüber amüsieren. Patric hat sich aus lauter Frust zum ersten Mal seit Monaten rasiert, damit er ein bisschen jünger aussieht.

Am zweiten Tag, nachdem ich meine Kette geölt und gekürzt hatte, musste ich wieder die Alte montieren. Meine Hände waren von dem ganzen Fett komplett Schwarz. Leider war mein Problem dadurch immer noch nicht gelöst. Am Abend war ich dann nach 90 km den Berg hoch trampeln und dreimaligem Kettenwechsel körperlich und nervlich am Ende. Zum Glück fand Patric für uns neben einem Restaurant ein edles Biwak.

Vor Bitlis wurden wir von ein paar Kindern erneut mit Steinen beworfen. Niemand wollte uns im Ort biwakieren lassen. Zu allem Übel kam plötzlich ein 2 km langer Tunnel. Glücklicherweise gibt es aber auch noch nette Leute in Bitlis. Drei Männer luden unsere Fahrräder mit Gepäck auf ihren Pickup und fuhren uns ans andere Ende. Wow! Am Dienstag Morgen um 9:00 Uhr Ortszeit kamen wir in Tatvan an. Wegen meinem Problem entschlossen wir uns die Fähre nach Van zu nehmen. Auf dem fast 200 km langem See verkehrt nur ein Boot, das keinen fixen Fahrplan hat. Wir kamen genau eine Stunde zu spät. Erst am nächsten Morgen würde wieder eine fahren. Ich hatte in Diyarbakir zum Glück einen Couch Surfing Kontakt ausfindig gemacht und so konnten wir uns dort einquartieren.

In einem kleinen Veloladen versuchte der Mechaniker sein Bestes, leider ohne Erfolg. Am Ende hatte er drei verschiedene Ketten ausprobiert und alle Zähne der Kassette neu gerichtet. Für die dreistündige Arbeit wollte er kein Geld annehmen! Ein wenig entnervt ging es am nächsten Morgen um 7:00 Uhr zum Hafen. Gegen 9 Uhr traf tatsächlich die Fähre ein. Zuerst musste das ganze Schiff entladen und anschliessend wieder beladen werden. Was etwa zwei Stunden dauerte. Dann durften wir mit unseren Drahteseln an Deck.

Neben einem Australier waren wir die Einzigen Touristen an Bord. Die Besatzung lud uns zuerst zu einem Cay im Maschinenraum ein und anschliessend gab es eine Visite beim Kapitän. Im Maschinenraum war es nicht gestattet Fotos zu machen. Der Chefmechaniker hatte wahrscheinlich Angst, wir könnten Betriebsspionage betreiben. Chantal und Patric erzählten mir auf der vierstündigen Überfahrt ein paar Episoden aus ihren dreissig Jahren an Reiseerfahrung. Das ist besser als jedes Buch. In Van wollte Chantal ein parkiertes Auto überholen. Der Fahrer öffnete im selben Moment die Türe und schleuderte Chantal mitsamt dem Velo auf die Strasse. Ausser einem kleinen Kratzer und einer verbogenen Bremse passierte zum Glück wenig. Im Zentrum fanden wir ein hübsches Hotel mit Zimmer auf der Dachterrasse.

Nach zwei Stunden Suche fand ich am nächsten Tag ein Veloshop. Der Besitzer holte im Laden nebenan Mehmet, der ziemlich gut Englisch sprach und für mich übersetzte.

Er meinte ebenfalls, das die Kassette ihren Dienst beendet hat. Er hatte zum Glück eine 8fach Kassette auf Lager und konnte mein Problem dadurch einigermaßen lösen. Jetzt habe ich zwar drei Gänge weniger, kann dafür meine Reise fortsetzen. Patric kaufte sich am Nachmittag ebenfalls noch zwei Ersatz Kassetten. Der Besitzer und seine Frau luden uns zum Cay ein und schenkten uns zwei Kleber mit dem Auge Fatimas, das uns beschützen soll und einem „Masallah“ Kleber ( was so viel wie “ Hoffnungsvoll“ bedeutet). Jetzt kann nichts mehr schief gehen.

In Van steigt zwischenzeitlich immer wieder mal der Strom aus. Die lieben Türken haben mal wieder mein Facebook und E- Mail blockiert und bei Chantal ihren Blogspot. Ansonsten ist Van aber eine sehr liberale Stadt mit sehr wenigen ausländischen Touristen. Nur ab und zu sieht man ein paar iranische Touristen in den belebten Strassen. Heute sind wir per Anhalter nach Gevas gefahren und von dort mit dem Boot auf die Insel Akdamar. Dort steht eines der armenischen Architekturwunder: Die Akdamar Kilisesi ( Heiligkreuzkirche). 912 baute Gagik Artzruni, der König von Vaspurkan, einen Palast mit Kirche und Kloster auf die Insel. Von Palast und Kloster ist nicht mehr viel übrig, aber die Kirche ist in einem Klasse Zustand.

Morgen kann die Fahrt nun endlich weiter gehen. Bis zur iranischen Grenze bleiben noch vier Pässe ( der höchste ist 2’700 m.ü.M.) und etwa 300 km. Dieser Passübergang ist erst seit ein paar Jahren wieder offen. Ich freue mich riesig auf den Iran.