Moin Moin!

Moin Moin!


Nachdem ich mich am Montagmorgen von der ganzen Crew in Bantorf verabschiedet hatte, versuchte ich wieder den Weg zurück an die Weser zu finden.

In China hatte ich eine Strassenkarte im Massstab 1: 4’000’000. Die Orientierung fiel mir dort aber wesentlich einfacher als auf der 1: 700’000 Karte von Deutschland. In Asien gibt es keine Velowege. Dort folgt man einfach den Hauptstrassen. Hier in Europa bin ich manchmal schon ein wenig überfordert. Durch das grosszügige Angebot weiss man am Schluss gar nicht mehr, wo man sich befindet. Auch sonst habe ich mit einigen Sachen meine liebe Mühe. Am Anfang war das riesige Angebot im Supermarkt fantastisch und alles schien so ordentlich und sauber. Jedoch scheinen die Leute hier kaum mehr richtig Zeit zu haben.

Ein bisschen vermisse ich die kleinen Shops, das chaotisch, laute Strassenleben und die vielen gastfreundlichen Menschen aus Asien bereits ein wenig. Besonders die Bananen und Mangos aus dem Supermarkt schmecken übel! Dafür kann ich mich gar nicht über die Schoggi- und Brotauswahl beklagen. Mein Hauptnährstoff besteht mittlerweile schon fast aus 50% Kakao. Auch die Sehenswürdigkeiten hier im Norden sind ganz speziell und originell.

Bereits nach zwei Tagen erreichte ich Bremerhaven. Jedoch konnte ich mich nicht so richtig an der Stadt erfreuen und der Eintritt für das Klimahaus war für mein Budget ein bisschen zu teuer. So stieg ich nach kurzer Zeit bereits wieder auf die Weserfähre. Dort unterhielt ich mich mit einem einheimischen Velofahrer, der seinen Skiurlaub regelmässig in der Schweiz macht. Nachdem ich ihm erklärte, dass ich hier in diesem Flachland niemals leben könnte, meinte er nur: „Hier im Norden brauchen wir keine Berge, der Wind ersetzt die Steigung.“ Das stimmt! Einige Male hatte ich so richtig zu kämpfen und egal in welche Richtung man fährt, der Wind kommt immer von vorne.

Früher dachte ich immer, dass es Werner Beinhart und Otto nur im Film gibt. Aber hier in Friesland trifft man überall solche Werners und Ottos. Das macht die Gegend für mich persönlich ganz sympathisch. Die Leute sind sehr hilfsbereit und ein vollbeladener Velofahrer mit Karte in der Hand kann nicht von hier sein. Mein Velo ist auch hier das perfekte Kommunikationsmittel. Müsste ich die Nordseeküste von Deutschland in Stichworten beschreiben, würde ich sagen: Meer, Deich, Schafe, Himmel, Flachland. Wenn es nicht windet, dann regnet es. Schlafplätze sind für Wildcamper nicht immer leicht zu finden. Da muss man sich halt auch mal mit einem Biwak zufrieden geben.

Die Velowege führen immer schön dem Deich entlang sodass man eine herrlich Aussicht geniessen kann auf das Wattenmeer. Das Wattenmeer der Nordsee ist eine im Wirkungsbereich der Gezeiten liegende, etwa 9000 km² große, 450 Kilometer lange und bis zu 40 Kilometer breite Landschaft zwischen Blåvandshuk, Dänemark, im Nordosten und Den Helder, Niederlande, im Südwesten. Den bei Niedrigwasser freiliegenden Grund der Nordsee bezeichnet man als Watt. Es handelt sich dabei um das größte Wattenmeer der Welt.

Das Watt wird zweimal am Tag während des Hochwassers überflutet und fällt bei Niedrigwasser wieder trocken, wobei das Wasser oft durch tiefe Ströme (Priele) abfließt. Der zeitliche Abstand zwischen einem Hochwasser und einem Niedrigwasser beträgt durchschnittlich sechs Stunden und zwölf Minuten. Das vor etwa 7500 Jahren entstandene Wattenmeer hat eine der höchsten Primärproduktionsraten in der Welt. Es dient daher vielen Vögeln und Fischen als Rastplatz und Nahrungsquelle.

Fast das gesamte Wattenmeer steht unter Naturschutz. Der deutsche Teil ist – außer den großen, als Schifffahrtsrouten wichtigen Flussmündungen – als Nationalpark geschützt. Der dänische Teil folgte 2009, der niederländische unterliegt einem komplexen Geflecht aus verschiedenen Schutzmaßnahmen. Der schleswig-holsteinische, niedersächsische und niederländische Wattenmeerbereich gehört seit 2009 zum UNESCO-Weltnaturerbe, 2011 wurde auch das Hamburgische Wattenmeer in die Welterbeliste aufgenommen. Nach den schweren Sturmfluten 1953 in den Niederlanden und 1962 in Deutschland wurden die Deichlinien begradigt, teilweise neue Deiche erbaut und der Rest um mindestens einen Meter erhöht und der Neigungswinkel weiter verflacht, so dass die modernisierten Deiche bis heute allen weiteren Fluten stand gehalten haben.

Obwohl die Sturmfluten 1976 und 2007 neue Rekordstände an Wasserhöhe aufwiesen, gab es keine Todesopfer mehr. Das Wattenmeer war immer eine dynamische Landschaft. Bei nur geringeren Änderungen des Meeresspiegels konnten große Gebiete im Meer versinken, unbewohnbar werden, oder wieder als Besiedlungsfläche zur Verfügung stehen. Sturmfluten erschwerten das Leben an der Küste ebenso wie die zahlreichen Sümpfe und Moore. Die frühe Besiedlungsgeschichte ist deswegen lückenhaft, archäologische Stätten versanken ebenso im Meer wie Menschen das Gebiet immer wieder jahrhundertelang mieden.

Bis heute stellt der Küstenschutz ein dominierendes Thema für das Leben am Watt dar, das Festland ist von Deichbau und Entwässerung geprägt, das Meer und seine Sedimente bestimmen den Kulturraum bis heute. Das Wattenmeer der Nordsee ist das größte zusammenhängende europäische Feuchtgebiet und das mit Abstand größte Wattenmeer der Welt. 60 % der europäischen und nordafrikanischen Wattflächen befinden sich im Wattenmeer der Nordsee, die Salzwiesen sind die mit Abstand größten zusammenhängenden Salzwiesen Europas.

Für mich als klassisches Landei ist diese Gegend sehr faszinierend. Teilweise wenn man auf dem Deich steht, sieht man bei Flut, dass das Landesinnere tiefer liegt als der Meeresspiegel. Alles ist ein bisschen anders hier im Norden und die Schiffe sind riesig. Mir gefallen ganz besonders die traditionell gebauten Schilfdach Häuser.

Am Mussel Kanal, bei der Mündung in die Dollard, überquerte ich nach 3 Wochen die Grenze von Deutschland in die Niederlande. Eigentlich existiert hier gar keine Grenze. Man fährt einfach über die Brücke und auf einmal reden die Leute kein Deutsch mehr. Jedoch kommt man mit Deutsch und Englisch sehr weit und teilweise hört sich Holländisch fast wie Schweizerdeutsch an. Erstaunlicherweise sprachen auch ältere Leute sehr gut Englisch und waren sehr an meiner Reise interessiert. Entlang der Nordseeküste fuhr ich bis nach Harlingen und überquerte von dort den 30km langen Afsluitdijk Damm, der das Ijsselmeer von der Waddenzee trennt.

Von Den Helder aus radelt man durch ein wunderschönes Vogelschutzgebiet. In den Dünnen nisten die Vögel im Frühjahr und ziehen ihre Jungen auf. Der starke Wind, vermischt mit dem Sand, fühlte sich schon fast ein wenig Wüstenhaft an. Endlich wurden auch die ersten Klischees bestätigt und einige wunderschöne Windmühlen mit traditionellen Schilfdächern tauchten auf. Diese sind jedoch nicht mehr in Betrieb. Sie mussten den grossen Windmühlen Platz machen. Objektiv erscheinen sie manchmal ziemlich mickrig neben den hässlichen Stromerzeugern.

Mitten in der Woche erreichte ich Amsterdam. Bereits beim Picknick im Park fühlte ich mich nicht richtig wohl. Langsam habe ich eine leichte Allergie, wenn sich zu viele Touristen an einem Ort befinden. So fiel mir die Entscheidung ziemlich leicht, die Stadt auf direktem Weg Richtung Süden zu verlassen. Einzig die Eltern/Kind Velos waren für mich ein echter Hingucker.

Am nächsten Tag besuchte ich das Stadtzentrum von Gouda, wo der weltbekannte Käse seinen Ursprung hat.

Von dort aus war es nur noch ein Katzensprung bis nach Tilburg, wo ich bei Paul, den ich in Istanbul getroffen hatte, das Wochenende verbringen durfte. Er ist in Kirgistan nach 10’000km und 5 Monaten im Sattel wieder nach Hause geflogen und engagiert sich mittlerweile vor allem in mehreren verschiedenen Garten- und Jugendprojekten paulopdefiets.waarbenjij.nu.

Meine Pedalen haben nun endgültig das Zeitliche gesegnet und so musste ich mir schweren Herzens neue kaufen. Am Sonntag leistete uns Lieveke nach getaner Arbeit im Garten Gesellschaft und wir fuhren gemeinsam durch die Landschaft rund um Tilburg. Am Montag begleitet mich Paul mit seinem Rennrad über die Grenze nach Belgien und verabschiedete sich dann von mir. Hartelijk dank Paul!

Von Turnhout führt ein langer Kanal direkt nach Antwerpen. Das machte die Orientierung zu einem Kinderspiel. Das liebe ich als Einstieg in ein neues Land. Besonders das Historische Zentrum mit all seinen imposanten Bauten gefiel mir sehr gut.

Nach den hochmodernen Velowegen in Holland fiel es mir nicht ganz leicht, wieder in Belgien umzudenken. Die Beschilderung ist ziemlich ähnlich, nur nicht so detailliert. Um den Schelde Fluss zu überqueren gibt es für Velofahrer und Fussgänger einen separaten Tunnel. Mit einem Lift geht es zuerst in die Tiefe, danach radelt man unter dem Fluss durch den Tunnel und steigt erneut per Lift wieder an die Oberfläche. Das nenne ich fortschrittlich!

Am Abend fand sich kein schlauer Zeltplatz und so kroch ich für die Nacht in ein Maisfeld. Nach einer erholsamen Nacht radelte ich nach Gent und traf dort Tine und Tim. Wir sind uns letztes Jahr in Yazd, Iran, begegnet und gemeinsam mit dem Bus via Tabas durch die Wüste nach Mashhad gereist. Die beiden sind letztes Jahr im Oktober von ihrer Veloreise zurück gekehrt und bereits wieder voll im Alltag integriert. Natürlich gab es viele Geschichten auszutauschen und ich konnte mein Velo und die Wäsche richtig reinigen. Tine und Tim waren hervorragende Gastgeber.
Thanks a lot Tine and Tim for the great Hospilaty.

Nach diesem Blitzbesuch radle ich jetzt zurück nach Ridderkerk in Holland, wo ich mich riesig auf den Besuch von Otto freue. Er wird mich eine Zeitlang auf dem Velo begleiten.