Two and a Half Man

Two and a Half Man


Patrick und Leeroy entschlossen sich, mich für ein paar Tage durch die Berge Nordvietnams zu begleiten. So verbrachten wir die letzten zwei Tage hauptsächlich mit der Vorbereitung und Planung unserer Reise. Die Hitze war durch die hohe Luftfeuchtigkeit ziemlich drückend tagsüber. Zum Glück kriegt man überall in Hanoi leckere Zuckerrohrsäfte oder Schoggi Glacés. Besonders Ella genoss es die Dinger zu essen.

Am Dienstag Morgen um 9:00 Uhr war alles bereit. Nach einem letzten Abschiedsritual fuhren wir los. Dank Patricks hervorragenden Stadtkenntnis, ging die Fahrt durch den Morgenverkehr ziemlich gut und bald kamen die ersten Reisfelder. Der Verkehr ist abseits der Hauptstrassen um einiges angenehmer. Besonders die lästigen Hubkonzerte bleiben einem hier erspart.

Gegen Mittag hielten wir an einer Pagode, die von einem See geschützt wird. Sandra und Patrick waren bereits schon einmal mit ihren Kids zu den Osterfeierlichkeiten hier. Im See steht ein Wasser Puppentheater. Im Ethnologischen Museum in Hanoi konnten wir das Theater einmal bestaunen. Die Puppen sind wunderschön. Nur ist die laute und schrille Musik beinahe unerträglich. Nachdem unser Kalorienvorrat aufgefüllt war ging es weiter durch kleine Reisfeld Pfade bis uns irgendwann die Hitze zuviel wurde und wir in einen Park zur Siesta flüchteten.

Die Nächte verbrachten wir jeweils in den Nha Nghi’s (Gästehäuser). Son Tay lag am ersten Tag bereits hinter uns. Die nächsten zweieinhalb Tage führte die Hauptroute G32 langsam immer mehr in die Berge. Vorbei an unzähligen Kaffe- und Reisfeldern, über die ersten Pässe und natürlich viel Sonnenschein. Bei einigen Steigungen musste Leeroy aussteigen und seinen Papi zu Fuss begleiten. Auf einem Markt stellten wir Leeroy auf die Waage und siehe da: die halbe Portion wiegt bereits 20 Kilogramm! Patrick meinte anschliessend, dass dies definitiv die letzte Fahrt für Leeroy im Anhänger war.

Passfahrten sind landschaftlich zwar wunderschön, jedoch in den Tropen während der Trockenzeit nicht gerade sonderlich angenehm. Mich beruhigte es sehr, dass auch Patrick zu kämpfen hatte. Bei den Zwischenstops im Schatten unterhielt uns Leeroy meistens mit seinen Geschichten, während wir versuchten uns ein wenig zu erholen. Da fragt man sich manchmal schon wer jetzt die halbe Portion ist! Vermutlich liegt das am Alter. Man wird schliesslich nicht jünger. Nicht nur landschaftlich und kulturell hat Nordvietnam einiges zu bieten. Besonders auf kulinarischer Ebene gab es einige Spezialitäten. Hundefleisch ist beispielsweise eine Delikatesse hier. Man kriegt aber auch allerlei Insekten auf den Teller.

In Nghai Lo entschlossen wir uns vorerst einen Ruhetag einzulegen und ein wenig die abgelegenen Seitentäler zu besichtigen. Als wir am ersten Tag ein wenig durch die Reisfelder und Dörfer fuhren, wurden wir prompt von einem Mann nach Hause eingeladen. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag mit ihm.

Ich verstehe eigentlich kein Wort von dem Vietnamesisch. Für mich ist diese Tonsprache noch schwieriger als Chinesisch. Wenigstens basiert sie auf der Romanischen Schrift, was das Lesen wiederum angenehm macht. Patrick beherrscht die Sprache schon ziemlich gut und übersetzte für mich jeweils. Ich sass bei den Gesprächen meist daneben und nickte und lächelte. Da meistens die gleichen Fragen gestellt wurden verstand ich mit der Zeit ein wenig den Inhalt der Gespräche.

Die Fragerunde lief ungefähr so ab: Zuerst wollten sie wissen, woher wir kommen, wie alt Leeroy ist, wer von uns sein Vater ist und wieso wir dem Kind so etwas antun. Wir erlebten die Einheimischen als sehr offen, interessiert, hilfsbereit und äusserst Gastfreundlich. Wie bereits schon in den muslimischen Ländern frage ich mich oftmals, weshalb wir nicht auch bei uns in Europa eine solche Offenheit gegenüber Fremden zeigen können.

Am nächsten Tag fuhren wir zuerst noch ein wenig weiter in das Tal hinein. Bald schon wurde uns die Steigung und die Hitze zuviel. Deshalb kehrten wir um und suchten das Haus unseres Gastgebers. Wir wurden mit offenen Armen empfangen. Das halbe Dorf kam vorbei um uns zu sehen. Während Leeroy mit den anderen Kindern im Bach sich abkühlte, durften Patrick und ich uns im Haus mit Grüntee voll pumpen lassen. Der vietnamesische Grüntee ist für mich einer der abscheulichsten Tees, die ich auf meiner Reise bisher getrunken habe. Aus mir unerklärlichen Gründen werden diese ziemlich stark zubereitet. Es wird einem schon fast schlecht beim trinken. Aber nur die Harten kommen in den Garten!

Nach dieser ersten Teerunde machten wir einen kleinen Rundgang durch das Dorf. Die ganze Kinderschar begleitete uns dabei. Am Abend wurde ein leckeres Abendessen aufgetischt. Inklusive Bier und Reisschnaps. Der Vater von unserem Gastgeber wohnt den Sommer über in einem höheren, abgelegneren Bergtal, das nur zu Fuss oder mit Motorräder zugänglich ist. Er lud uns für den nächsten Tag auf einen Besuch ein.

Das Haus unseres Gastgebers war riesig. Im Untergeschoss befand sich der Schlafplatz für die Tiere und die Küche. Im oberen Stockwerk leben mehrere Generationen zusammen. Alles wird untereinander aufgeteilt. Uns kam das ganze Dorf wie eine riesige Gemeinschaft vor. Ich schlief in dem Bambushaus wunderbar. Beim Spaziergang am nächsten Tag führte uns der Vater zuerst zu einem kleinen Haus. Dort wurden wir von seinen Freunden zu einem ersten Essen inklusive Reisschnaps eingeladen.

Die Käfer schmeckten ziemlich knusprig. Grosse Freude hatten die Leute jeweils, wenn wir sie fotografierten. Unser Gastgeber lud uns ein, die Nacht im Bergdorf bei den Mường zu verbringen. Das Angebot konnten wir natürlich nicht ablehnen. So liefen wir von einem Haus zum nächsten und arbeiteten uns langsam den Berg hoch. Dabei gab es immer wieder etwas zu trinken (Grüntee oder Gemüsewasser) und ab und zu Essen. Vermutlich haben noch nicht viele Ausländer diese Gegend besucht. Die Leute waren vor allem von unserer Grösse beeindruckt. Wir überragten sie meistens mindestens um einen Kopf.

Unser Führer gehört selbst nicht zu den Mường, sondern kommt ursprünglich aus der Tai Bevölkerung.
Angehörige der Tai-Völker leben vor allem in den Bergen Nordvietnams. Sie sprechen mehrere mit einander eng verwandte Tai-Sprachen. Die in Vietnam als Thái bezeichnete Minderheit ist nicht mit dem Thai-Volk in Thailand zu verwechseln, die beiden Sprachen gehören verschiedenen Untergruppen an. Westliche Sprachwissenschaftler gliedern die Thái Vietnams meist weiter nach einzelnen Sprachen auf. Einige der Tai-Völker Vietnams sind eng verwandt oder sogar identisch mit einigen nationalen Minderheiten in China und Laos. Hier in der Provinz Yèn Bái leben mehrere verschiedene Minoritäten.

Vietnam ist ein multiethnisches Land. Etwa 88 % der Bevölkerung sind ethnische Vietnamesen (Việt oder Kinh). Daneben sind 53 ethnische Minderheiten staatlich anerkannt. Die kleinsten Minderheiten haben nur einige Hundert Angehörige. Mir gefielen besonders die Kleidungsstücke der Frauen. Die leuchtenden Farben bieten einen schönen Kontrast zu der grün/braunen Berglandschaft. Die Mường sind eine ethnische Minderheit in Vietnam.

Es gibt etwa 1,3 Millionen Mường. Die große Mehrheit von ihnen lebt im Bergland Nordvietnams. Einige tausend Mường leben auch im Süden Vietnams.

Die Mường sind eng mit den ethnischen Vietnamesen verwandt. Einige Ethnologen sind der Meinung, dass sie auch ethnische Vietnamesen sind, die aber durch die relative Isolation in den Bergen weniger von der chinesischen Zivilisation beeinflusst wurden.

Die Religion der Mường enthält chinesische, vietnamesische und animistische Elemente. Wir wurden sogar auf einen Besuch beim Bürgermeister des Dorfes eingeladen. Spät am Abend erreichten wir dann unser Nachtlager. Der Gastgeber schlachtete extra für uns ein Huhn. Leeroy schlief schon vor dem Abendessen ein. Es wurde viel gelacht und getrunken beim Essen. Nach einem kurzen Film fielen wir ins Bett.

Bereits vor Sonnenaufgang ist das halbe Dorf schon wieder auf den Beinen. Die Familie zog sich für uns extra ihre traditionellen Kleider an, damit wir sie fotografieren konnten.

Nach dem Frühstück musste ich mich leider von allen verabschieden, da mein Vietnam Visa langsam abläuft und ich die Grenze unbedingt noch vorher erreichen möchte. Patrick blieb mit Leeroy im Bergdorf zurück. Wehmütig und noch nicht ganz nüchtern machte ich mich auf den Abstieg. Dankä vielmal Patrick und Leeroy. Isch super gsii mit oi! Unten im Dorf belud ich meinen Kurd, verabschiedete mich vom Rest der Familie und fuhr wieder zurück auf die G32 Richtung Sapa. Nach dem ersten Pass, als ich schon kurz vor einem Hitzekollaps stand, kamen mir zwei französische Velofahrer entgegen. Sie arbeiten in Kunming und haben sich ein paar Wochen frei genommen um von Kunming nach Hanoi zu radeln.

Nach einem kurzen Small Talk verabschiedeten wir uns wieder voneinander. Beim Anstieg zum zweiten Pass an diesem Tag war für mich Feierabend. Ich stellte mein Zelt auf, wurde beim Kochen von einigen Mường beobachtet und fiel bald ins Zelt.

In der Nacht zog ein Gewitter über die Berge und dummerweise gab mein frisch reparierter Reissverschluss vom Innenzelt genau in dem Moment den Geist definitiv auf. Die Landschaft war am nächsten Morgen völlig verregnet und Nebel verhangen. Dadurch gestaltete sich die fast 4 Stunden dauernde Fahrt auf den Pass einigermassen angenehm. Oben herrschten ziemlich frische Temperaturen, sodass ich für die Abfahrt eine Jacke anziehen musste. Unglaublich!

Mir gefiel die Gegend sehr gut und jedesmal wenn ich durch ein Dorf fuhr winkten von allen Seiten die Kinder und Erwachsenen mit lauten „Hello, Hello“ rufen zu. Ich hätte gerne noch mehr Zeit in dieser Gegend verbracht um mich eingehender mit den Menschen zu beschäftigen. Auch die Mường unterscheiden sich voneinander. So gibt es beispielsweise die Blüten- oder Schwarzen Mường und viele mehr. Aber Visa Vorschriften sind leider nicht zu ändern.

Eigentlich wollte ich viel weiter Östlich über die Grenze um nach Guilin zu fahren. Zeitlich merkte ich jedoch, dass dies fast unmöglich werden würde und irgendwie reizen mich die Berge in Südwestchina momentan viel mehr. Schweizer Velofahrer sind einfach Bergsüchtig! Die 4 Tage bis nach Sapa sind etwa mit einer Passfahrt durch die Schweizer Alpen zu vergleichen. Jeden Tag mindestens ein Pass und permanent rauf und runter. Nur ist die Qualität der Strassen um einiges schlechter und die Hitze gnadenlos. Zudem löste sich beim Hinterrad das Lager in der Nabe ganz leicht. Eigentlich kein grosses Problem. Jedoch hat sich in der Felge eine ziemliche Acht gebildet und in Kombination ist dies kein angenehmes Fahrverhalten. Ziemlich erschöpft kam ich am Donnerstagmorgen in Sapa an.

Patrick hatte mich schon vor dem Massentourismus in Sapa gewarnt und bei meiner Ankunft wurde seine Aussage bestätigt. Ich überlegte mir schon kurz nach der Ankunft weiter zu fahren, war jedoch viel zu müde dazu. Eine Unterkunft war bald gefunden. Die Dusche half mir wieder Fit zu werden und mich um meine anstehenden Reparaturen zu kümmern.

Auf dem Markt konnte ich meinen Reissverschluss vom Zelt ersetzen lassen. Die Suche nach einem Velodoktor gestaltete sich ein wenig schwieriger. Die Einheimischen waren jedoch sehr geduldig und hilfsbereit. In einem Kleidergeschäft fand ich meinen Retter. Er schob die Kleider zur Seite und holte aus einem Regal einen Werkzeugkoffer. Mit primitiven Werkzeugen zeigte er mir, wie man ein Rad wieder richtig zentriert. Ich erklärte ihm im Gegenzug die Funktion einer V- Brake Bremse. Obwohl wir kein Wort miteinander kommunizieren konnten, verstanden wir uns prima.

Zum Schluss schenkte er mir noch eine Veloklingel. Trudi, meine Kamelhupe, hat momentan den Stimmbruch. Wie bei den Vietnamesen nach einem Geschäft üblich, sassen wir anschliessend zusammen und tranken einen Tee. Nur mit Stift und Papier kommunizierten wir fast eine halbe Stunde zusammen. Dann gab es noch einen Schnaps, ich zahlte die Rechnung, wir machten ein gemeinsames Foto und verabschiedeten uns voneinander.

Nach einem erholsamen Tag in Sapa verlasse ich Südostasien nach 4 Monaten wieder und kehre zurück ins Reich der Mitte.